28.10.2022

VON HÖLZCHEN AUF SÄGEMEHL

 Veränderung ist des Deutschen Sache ja nicht unbedingt. Was wir haben, das haben wir und lassen es nicht so einfach los. 

 

Zurzeit müssen wir trotzdem umlernen. 

An Wandel durch Handel zu glauben, ist zum Beispiel nicht mehr modern, sondern naiv. Gleiches gilt für das Tragen von Atomkraft-nein-danke- oder gar Schwerter-zu-Pflugscharen-Buttons. 

Zum Ausgleich fällt das Horten von Lebensmittelvorräten nun nicht mehr in den Bereich der Spinnerei, sondern der Blackout-Vorsorge und Holzöfen und Kamine haben sich vom Wellnessprodukt zum Überlebensvorteil gemausert.

 

Man solle Wasser und Dosenfutter stapeln und, falls man über Feuerstellen in Wohnzimmer oder Küche verfügt, lieber noch ein bisschen Holz machen, hörte ich neulich im Radio.

 

Holz machen. Was für eine Formulierung! Als ob das begehrte Gut unter einem in die Kloschüssel fällt. Oder man es auf andere Art gottgleich entstehen lässt. 

In Wahrheit geht es um Fällen und Spalten. Beides sehr gefährlich. Ersteres, weil man Bäume auf den Kopf kriegen kann, Letzteres im übertragenen Sinne.

Das hörte ich nämlich ebenfalls im Radio. Mehrfach. 

Die Spaltung der Gesellschaft drohe und das sei nicht gut.
 Ja, dachte ich, das klingt richtig. Aber irgendwann fragt man sich, was das eigentlich sein soll, die Spaltung der Gesellschaft. 

Tschack, Bumm – und in der Mitte durch? 

Oder wie? 

 
Fra(n)g:
Zerfallen wir in Feuerstellenbesitzer und den Rest?
 
ANTreas:
Wenn es nur das wäre. 
Man sagt ja, es sei viel grundsätzlicher.
 
Fra(n)g:
Eher in Dafür und Dagegen?
 
ANTreas:
So war es bei Corona.
 
Fra(n)g:
Die Kämpfer gegen eine Bill-Gates-Weltherrschaft oder die Corona-Diktatur sind allerdings leise geworden. 
Späte Einsicht? 
 
ANTreas:
Das glaube ich nicht. 
Die sind jetzt gegen was Anderes. 
Gegen Inflation zum Beispiel. 
Oder gegen gegen Putin zu sein.
 
Fra(n)g:
Warum dieses grammatikalisch fragwürdige Stottern? 
 
ANTreas:
Wenn man doppelt dagegen ist, ist man rein logisch dafür und das wäre auch einfacher zu formulieren. 
Aber viele der doppelt dagegen Seienden würden abstreiten, dafür zu sein.
 
Fra(n)g:
Dass sie das berücksichtigen, ist sehr rücksichtsvoll von ihnen. Demokratisch vorbildlich. 
So butterweich kenne ich sie sonst gar nicht. 
<denkt kurz nach>
Da fällt mir ein, dass die Butter bei der Kälte in den Buden gar nicht mehr weich wird. Ich hoffe, die Leute können sich noch daran erinnern, was gemeint ist. 
 
ANTreas:
<verdreht die Augen>
Ich bin nicht weich. Ich nehme die Leute ernst.
 
Fra(n)g:
Aber vielleicht muss man gar nicht jede Minderheitenmeinung bierernst nehmen. 
<denkt kurz nach>
Da fällt mir ein, dass Bier nun außerhalb des Kühlschranks gelagert werden kann. 
 
ANTreas:
<verdreht wieder die Augen>
Zurück zum Thema Spaltung.
 
Fra(n)g:
Okay.
Da fragt man sich doch, ob unterschiedliche Ansichten nicht einfach dazugehören. Von wegen der Meinungsfreiheit. 
 
ANTreas:
Natürlich. 
Solange sie sich auf dem Boden der Verfassung bewegen.
 
Fra(n)g:
Meinungspluralität kann also auch nicht gemeint sein.
Vielleicht geht es dann um einen Umsturz. Hin zum Faschismus. Oder zum Kommunismus. Oder zum irgendwas-ismus.
 
ANTreas:
Wer davor warnen will, könnte ja von Umsturz reden. Oder von Radikalisierung und Terrorismus. Oder von Bürgerkrieg. 
 
Fra(n)g:
Klingt nach Alarmismus. 
 
ANTreas:
Und deswegen sagt man Spaltung. 
Damit man nicht alarmistisch klingt. 
 
Fra(n)g:
Könnte sein.
Aber wer glaubt schon an eine Revolution, nur weil ein paartausend Leute spazieren gehen?
 
ANTreas:
Ich nicht.
 
Fra(n)g:
Sehen sie. 
 
ANTreas:
Vielleicht befürchten die vor Spaltung Warnenden, dass Leute sich in Debatten und Diskussionen nicht mehr anständig benehmen.
 
Fra(n)g:
Respekt und Achtung sind wichtig. Das finde ich auch. 
Da fällt mir ein, dass die Tischmanieren, auf die ich sehr stehe, ebenfalls nicht mehr sonderlich weit verbreitet sind. 
 
ANTreas:
Sie schweifen heute gerne ab. 
 
Fra(n)g:
Entschuldigung. Wo waren wir? 
 
ANTreas:
Wir wollten für Anstand plädieren. 
 
Fra(n)g:
Auf alle Fälle.
Aber was genau noch anständig ist und was nicht mehr, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. 
 
ANTreas:
Das muss ein guter Demokrat aushalten. 
Und wenn es zu doll wird, gibt es Gerichte. 
 
Fra(n)g:
Ich gebe ihnen recht – auch wenn wir dadurch in Sachen Spaltung wieder nicht weiterkommen. 
Es ist zum Schädelspalten. 
<lacht gequält über seinen Spruch>
 
ANTreas:
Selbst für einen Witz taugt der Begriff nicht. 
 
ANTreas:
Vielleicht gucken wir mal, was bei der Spalterei entsteht.
 
Fra(n)g:
Zwei Gesellschaften, also zwei Länder?
 
ANTreas:
Das hatten wir doch schon. Und es steht zu vermuten, dass es in einem der beiden trotz aller Meckerei ziemlich leer sein würde. 
 
Fra(n)g:
Vielleicht könnte ein Bundesland sich selbständig machen. 
 
ANTreas:
Bayern?
Das könnte für den Rest der Republik eine verlockende Aussicht sein. 
 
ANTreas:
Wir kommen einfach nicht weiter.
Ich hätte noch die These, dass eine meinungspluralistische Gesellschaft nichts Spaltbares ist.
 
Fra(n)g:
Na, das erzählen sie mal denjenigen, die ständig vor der Spaltung warnen. 
 
ANTreas:
Vielleicht benutzen die einfach das falsche Wort. 
Was ich meine, ist, dass wir aus unterschiedlichen Überzeugungen und Ansichten bestehen. 
Wir sind ja nicht Nordkorea. 
 
Fra(n)g:
Individualität ist quasi die DNA unseres Zusammenleben.
 
ANTreas:
Na, da haben sie aber einen rausgehauen. 
 
Fra(n)g:
Danke.
Und sie meinen, dass es, solange sich alle auf die Unterschiedlichkeit der Einzelnen verständigen können, keine Blöcke gibt, die man mit Äxten kaputthauen könnte?
 
ANTreas:
Genau. Wir sind ja nur locker verbunden. Eher wie ein Haufen Sägemehl. Und der lässt sich nicht zerschlagen. 
 
Fra(n)g:
Höchstens der Boden, auf dem er liegt. 
Aber das wäre ein Umsturz. 
 
ANTreas:
Also geht es gar nicht um Spaltung, wenn davon geredet wird. 
 
Fra(n)g:
Sondern ums Gegenteil. 
 
ANTreas:
Darum, dass sich zu viele Individuen zu einer gleichen Masse verkleben. 
 
Fra(n)g:
Dass aus Sägemehl wieder Holz wird.
 
ANTreas:
Diesmal übertreiben sie es aber mal mit dem Bild. 
Das wäre wie Holz zu kacken.  
Das geht nicht. 
 
Fra(n)g:
Dann halt eine Spanplatte.
 
ANTreas:
Treffer. 
Wir sollten die Spanplattisierung der Gesellschaft verhindern.
 
Fra(n)g:
Weil nur Sägemehl Demokratie ist. 
 
ANTreas:
Und schon geht die Metapher mit uns durch wie ein wilder Gaul.
 
Fra(n)g:
Was andere können, können wir schon lange.

13.10.2022

SPRACHBILDSPRENGUNGEN

 

Dass Herbst ist, merke ich auch daran, dass auf der Terrasse 30 Sommerblüten sind, wo vor Kurzem noch 300 waren. Ich bewundere die lila-pinken Kämpfer gegen das Altern wie Antiquitäten, finde sie schön, gerade weil sie nicht mehr in die Zeit passen, und wertvoll, weil sie selten sind.

 

Lila und Pink gibt es auch bei der FDP. Sie haben das Blau und Gelb ergänzt, damit der moderne Christian Lindner nicht länger mit dem alten Herrn Scheel hoch auf dem gelben Wagen reisen musste. 

 

Wären unsere Blümchen die FDP in Niedersachsen, überlege ich manchmal, dann würden wohl nur noch drei Einsame von ihnen versuchen, sich im Kübel aufrecht zu halten. Und ich würde mich fragen, wozu es die so wenigen überhaupt noch gibt. 

Wer braucht in dieser Jahreszeit noch versprengte lila-pinke Blüten? Vielleicht würde ich sogar den Frühjahrsschnitt vorziehen. Raus aus dem Kübel, damit sie nicht länger den herbstlichen Gesamteindruck stören. Eine Art Fünf-Prozent-Hürde für Pflanzgefäße.

 

„Der erkennt nicht, wofür wir stehen“, würden die Pflanzen dann jammern. 

„Wir müssen deswegen noch viel pinker strahlen! Und auch lila… Ach, Mist, ein Wort für mehr lila gibt es gar nicht. Dann halt violetter. Auch viel violetter!“

 

Fra(n)g:
Ojemine. Das wird nicht gut ausgehen. 
 
ANTreas:
Da gebe ich ihnen recht. 
Aber nicht nur für die FDP, sondern für uns alle.
 
Fra(n)g:
Warum das?
 
ANTreas:
Noch mehr Klientelpolitik, noch mehr Unterstützung für die, die die Krise aus der eigenen Tasche meistern könnten. 
 
Fra(n)g:
Aha.
Ich meinte allerdings, dass die Metapher der spätblühenden lila Blume zu nichts Gutem führen wird. 
 
ANTreas:
Ach so. 
Aber wenn es um schräge Bilder geht, sind wir bei Christian Lindner ja ebenfalls richtig. 
Dessen Klientelpolitik für die "Leistungsträger", also die, die sich zum Beispiel total doll beim Erben angestrengt haben, provoziert doch die derzeitige Nummer eins der Metaphern-Hitparade. 
 
Fra(n)g:
Auch wenn es die nicht gibt - sie sprechen von der berühmten Gießkanne.
 
ANTreas:
Ein Bild, das mindestens so wackelig ist wie das von den Sommerblüten im Herbst. 
 
Fra(n)g:
Was ist denn an der guten alten Gießkanne verkehrt? 
Immerhin kapiert das jeder.
 
ANTreas:
Na, eben das gute Alte. 
Ich verstehe nicht, warum Leute, die kritisieren wollen, dass Hilfen zu großflächig gewährt werden, nicht von einem Sprenger reden. 
 
Fra(n)g:
Von einem Rasensprenger?
<verwundert>
Wer will schon von so was sprechen? 
 
ANTreas:
Der Sprenger beschreibt aber treffender, was gemeint ist. 
Eine Gießkanne ist ziemlich zielgerichtet. Man wässert jeden Blumentopf so, wie er es braucht. Hier ein bisschen mehr Wasser, dort ein bisschen weniger. Und das kümmerliche Ding in der Ecke kriegt sogar etwas Flüssigdünger dazu. 
 
Fra(n)g:
Ich verstehe. Der Rasensprenger hingegen geht auf die Fläche. Der macht nicht einmal vor den Wegen und der Terrasse der Vorstadtvilla halt.  
 
ANTreas:
So ein Gerät ist halt großzügig. 
Aber in Zeiten von Sommerdürren in Verruf geraten.
 
Fra(n)g:
Und in Kriegszeiten erst recht. 
Wer will da noch sprengen. 
 
ANTreas:
Gießkanne klingt nach nicht ganz so viel Verschwendung und vor allem nach ehrlicher Handarbeit. 
Wer das hört, denkt nicht nur an verbilligten Sprit für riesige Karren oder an staatliche Hilfen zum Heizen von Zehn-Zimmer-Wohnungen, sondern gleichzeitig an ein olles Zinkding, aus dem, wenn es undicht ist, sogar noch Efeu wächst.
 
Fra(n)g:
Da wird die FDP mit den französischen Gärtnerhandschuhen aus vollnarbigem Rindleder für 34,90 Euro bei Manufactum angefasst?
 
ANTreas:
Der Herr Lindner verteilt’s mit dem Rasensprenger wäre auf alle Fälle hässlicher. 
 
Fra(n)g:
Und warum sagt das keiner? Hat die Konkurrenz Mitleid mit der FDP?
 
ANTreas:
Vielleicht ein bisschen strategisches Mitleid, um die ein oder andere Koalition nicht zu gefährden. 
Aber in erster Linie, weil die Metapher auch auf den abfärbt, der sie verwendet. 
 
Fra(n)g:
Verstehe. Friedrich Merz tut also so, als sei bei ihm alles klein und ökologisch und locker mit dieser hübschen alten Kanne vom Trödelmarkt zu bewässern. 
Rasensprenger kennt der gar nicht. Die sind nur was für Trump und so Leute. 
 
ANTreas: 
So könnte man es auf den Punkt bringen.
 
Fra(n)g:
Zivi Olaf hat dann als Finanzminister die Bazooka ausgepackt, um zu zeigen, dass er auch anders kann als lieb, freundlich und sozial.
 
ANTreas:
Und weil mittlerweile in echt geschossen wird, muss nun ein Doppelwumms reichen.
 
Fra(n)g:
Was ist das eigentlich?
 
ANTreas:
Irgendwas, wogegen ein normaler Wumms wie ein Wümmschen wirkt. 
 
Fra(n)g: 
Vielen Dank für die Aufklärung.
Der Herr Spahn, der hat mit Blick auf Corona übrigens immer vom Werkzeugkasten geredet. Nicht dass die Leute denken, er hätte zwei linke Hände.
 
ANTreas:
Höre ich da ein Schwulenklischee?
 
Fra(n)g:
Habe ich nichts von gesagt!
Aber wo wir bei dem Thema sind, die Kopftuchmädchen von der Weidel, die waren dann doch sicher was Sexuelles. 
 
ANTreas:
Das geht zu weit! Selbst Frau Weidel hat Rechte.
 
Fra(n)g:
Schon gut. Ich mache es wie die AfD und die vielen Teilzeit-Populisten: Nachdem es gesagt ist, kann ich es locker zurückziehen.  
Es kam halt einfach so aus mir raus, wie so eine Art Sprachorgasmus. Da kann ich nichts für. 
Ich hole jetzt einfach mal ein Zewa Wisch&Weg!
 
ANTreas:
Nur um dieses Bild aus dem Kopf zu kriegen, bemühe ich ein weiteres Beispiel: 
Der Söder, der spricht gerne von Fouls, Verlängerung und Eigentoren. Neulich hat er sogar die Tiki-Taka-Politik in Sachen Kernkraft kritisiert. 
 
Fra(n)g:
 Der möchte halt ein bisschen Glanz vom FC Bayern abhaben. Die sind immerhin deutscher Meister, er hat das damals schon in der Quali vergeigt.  
 
ANTreas:
Er hätte die Metapher lieber ein paarmal im Kopf hin- und herspielen sollen, dann wäre ihm aufgefallen, dass das eine populäre und zudem erfolgreiche Spielweise der Spanier war.
 
Fra(n)g:
Seien sie nicht so streng mit ihm. Der steht unter Druck. Jetzt, wo Bayern von der Bundesregierung quasi vernachlässigt wird und kein eigener Verkehrsminister mehr Milliarden ins Land scheffeln kann. 
 
ANTreas:
Ist ja auch egal. 
Die Frage ist ja ohnehin, was das Ganze Geschwurbel mit der FDP in Niedersachsen zu tun hat. 
 
Fra(n)g:
Nichts.
 
ANTreas:
Sie haben recht. 
Wahrscheinlich ist es eher nachrangig, ob gegossen oder gesprengt wird. 
Eher haben ein paar Erstwähler mittlerweile gemerkt, dass es bei Christian, Volker, Marco und ihrem Selbstoptimierertrupp nicht nur um die Freiheit geht, mit seinem Corsa GSI mit hundertsiebzig über die Autobahn brettern kann. 

Fra(n)g:
Dann ist die Welt ja doch noch nicht verloren.
 
ANTreas:
Und es waren nur noch wenige lila-pinke Blüten…

28.09.2022

KALT GENUG FÜR PUTIN, WARM GENUG FÜR MICH

Man soll ja nicht mehr von schlechtem Wetter reden. 

 

Nicht, weil das dessen Gefühle verletzen würde. Nein, eher die der Meteorologen. Die leiden da quasi mit. 

Kälte sei gar nicht so schlimm - man könne ja mal die Gletscher fragen. Und Regen erst recht nicht. Wer den nicht freudig umarme, mache sich gemein mit der fiesen Dürre. 

 

Wahrscheinlich ist die Wasserknappheit auch dadurch entstanden, dass wir Menschen zu viel über den Regen geschimpft haben. 

Der ist jetzt beleidigt. 

 

Ich will Kackwetter aber weiter so nennen und ordentlich darüber schimpfen. 

Was um Himmels willen soll ich daran schön finden, dass die noch nicht abgefallenen Blüten depressiv nach unten hängen, dass es zu dunkel zum Lesen ist und ich mir wegen Putins Pack auch drinnen den Allerwertesten abfriere? Wobei man den ja noch zwiebelstrategisch verpacken kann. Aber die Nase? Und die Finger?

 

Ihr lieben Kölner und Frankfurter mit euren 14 und ihr ebenfalls lieben Hamburger und Berliner mit euren immerhin zwölf Grad, ihr könnt jetzt ruhig die Augen verdrehen und mich Weichei schimpfen. Im Wolkenstau des nördlichen Alpenvorlands hat es neun Grad. Neun. Das ist eins weniger als zehn. Gefühlt sieben. Sagt die App. 

 

Wenn das so weitergeht, bezwinge ich diesen Putin ganz allein.

 
Fra(n)g:
Warum dreht man denn nicht einfach die Heizung an? 
Ist ja nicht so, dass nichts rauskommt.
 
ANTreas:
Weil Heizen eine moralische Frage geworden ist.
 
Fra(n)g:
Erst kommt das Heizen, dann die Moral, würde Brecht sagen.
 
 
ANTreas:
In seinem Sinne wäre zu klären, wieviel Grad der Mensch braucht, bevor er sich darum kümmern kann, einem imperialistischen Schweinehund die Grenzen seines Einflusses aufzuzeigen.
 
Fra(n)g:
Deswegen ist Brecht ein Dichter und sie nicht: Der braucht nur einen Bruchteil der Wörter. 
 
ANTreas:
Und sie brauchen nur neunzehn Grad. Oder zwanzig. 
In dem Bereich pendelt sich die politische Diskussion ein.
 
Fra(n)g:
Sind Thermometer eigentlich schon klopapierknapp?
 
ANTreas:
Demnächst bestimmt. Vielleicht sollte man sich vorsichtshalber mal drei besorgen. 
 
Fra(n)g:
Ich habe schon das Fieberthermometer rausgeholt. 
Aber das zeigt nur Lo an. 
 
ANTreas:
Ein Messgerät mit Rechtschreibschwäche.
Aber ein Fieberthermometer muss auch nicht in den Putinbereich messen können. 
Wenn es in ihnen drinnen nur noch zwanzig Grad hat, 
sind sie eh weg vom Fenster. 
 
Fra(n)g:
Bin ich ohnehin. 
An der Scheibe ist es ja noch kälter.
 
ANTreas:
Ui. Ein echter Sauerländer. 
 
Fra(n)g:
Sie müssen erklären, was das sein soll. 
 
ANTreas:
Dem Begriff liegt zugrunde, dass die Leute im Sauerland einen recht eigenwilligen Zugang zum Humor haben. 
 
Fra(n)g:
Witze, die so lustig sind wie Friedrich Merz, wäre eine kürzere Beschreibung gewesen. 
 
ANTreas:
Anscheinend sind sie heute für die Poesie zuständig. 
 
Fra(n)g:
Der kleine Pöt Fra(n)g. Das gefällt mir. 
 
ANTreas:
Zurück zum Ernst des Heizens. 
 
Fra(n)g:
Ich habe schon mit dem Ohr am Thermostat geklebt, um zu hören, wann es knackt. Aber auch da gab es keine Antwort auf die Frage, wann es zugleich kalt genug für Putin und warm genug für mich ist.  
 
ANTreas:
Sparen sie doch einfach so viel wie möglich. 
 
Fra(n)g:
Möglich ist vermutlich viel. 
 
ANTreas:
Verzichtbar ist das bessere Wort.  
 
Fra(n)g:
<jammert>
Es ist so schwierig zu erkennen, was überflüssig ist. 
 
ANTreas:
Überflüssig ist die FDP in der Bundesregierung. 
In unserer Diskussion geht es eher um Überfluss. 
 
Fra(n)g:
Und Überfluss ist das, was andere zu viel haben.  
 
ANTreas:
Deren Bedarf festzulegen, fällt uns erstaunlich leicht.  
 
Fra(n)g:
Nur bei uns selbst hapert es.  
 
ANTreas:
Dann tun sie doch einfach so, als seien sie jemand anders. 
 
Fra(n)g:
Machen wir das hier nicht sowieso die ganze Zeit?
 
ANTreas:
Da ist was dran. 
Dann kann ich ihnen ja einfach sagen, wann es für sie warm und für Putin kalt genug ist. 
 
Fra(n)g:
Danke!
Mir fällt ein Eiswürfel vom Herzen. 
 
ANTreas:
Und sie passen auf, dass ich nicht zu lange dusche.  
 
Fra(n)g:
Wunderbar. Ich freue mich drauf.  
 
ANTreas:
Wenn sie zu früh Stopp sagen, stinke ich. 
 
Fra(n)g:
Und sie müssen meine miese Stimmung ertragen, falls es zu eisig ist. 
Aber gemeinsam feiern wir jeden kleinen Fröstelbeitrag als Sieg! 
Für die Freiheit! 
Für die Demokratie! 
Für uns!
 
<Pause. Sie stehen sich gerührt gegenüber>
 
ANTreas:
<nach längerer Überlegung>
Der kalte Krieg ist irgendwie anders kalt als früher.  

  

13.09.2022

BOOMERBASHING 


Es ist ja nicht so, dass Leute noch oft mit Bleistift schreiben. Tastaturen, Displays und Kulis haben längst gewonnen. Aber selbst, wenn sie es tun - wer braucht dann noch einen Spitzer, um das Holz zu entfernen und die Mine anzuspitzen? Heutzutage drückt man aufs Knöpfchen, ein kleines Stück mit Ton gebrannten Graphits, formvollendet, schiebt sich ans Tageslicht und weiter geht’s mit der Kritzelei. 

 

Worauf ich hinauswill? 

 

Ich habe überlegt, ob die mangelnde Verwendung des Schreibwerkzeugs samt seines schärfenden Hilfsgeräts dazu geführt hat, dass mittlerweile anderswo zugespitzt wird, was das Hirn hergibt. Irgendworan muss  die Lust am verbalen Dolchstoß doch liegen. 

 

Fra(n)g:
Das es mit Bleistiften zu tun hat, ist nun wirklich zu weit hergeholt.
Das glaube ich auf keinen Fall.
 
ANTreas:
Regen Sie sich ab.
Die Überlegung war wahrscheinlich nicht seriös durchdacht, sondern lediglich Ausdruck des gefühlten Fehlens einer rationalen Begründung.
 
Fra(n)g:
Doppelter Genitiv!
Ist heute Welttag des gehobenen Ausdrucks?
 
ANTreas:
Ich achte lediglich auf meine Formulierungen.
 
Fra(n)g:
Ist das das Gleiche wie zuspitzen?
 
ANTreas:
Nein, eher der Versuch, präzise zu sein.
Die Zuspitzung vereinfacht, lässt weg oder übertreibt.
 
Fra(n)g:
Damit man es besser kapiert?
 
ANTreas:
Eher, damit man es so sieht, wie der Absender.
Eine Zuspitzung ist im Grunde genommen wie Brüllen ohne laut zu werden.
 
Fra(n)g:
Also ein Versuch, sich durchzusetzen und die Macht an sich zu reißen.
 
ANTreas:
Nur dass man dabei besser wegkommt als ein cholerischer Schreihals mit roter Birne.
 
Fra(n)g:
Aber geht es nicht auch darum, eine Sache so richtig auf den Punkt zu bringen?
 
ANTreas:
Wie gesagt, auf den Punkt des Absenders. Und der will dabei schlau und sprachgewandt wirken.
 
Fra(n)g:
Sie meinen, man will nicht nur inhaltlich gewinnen, sondern auch beim Poetry Slam mit IQ-Battle.
 
ANTreas:
So würde ich den Wutbrief einer Studentin des Kreativen Schreibens gegen die Hoodie-Boomer verstehen, den der Spiegel verblüffenderweise veröffentlicht hat.
 
Fra(n)g:
Was steht drin?
 
ANTreas:
Beschimpfung der Menschen, vorwiegend der Männer, zwischen Anfang 50 und Ende 60 als digital Zurückgebliebene und Hoodie-Figurtrickser, weil sie nicht so sind, wie die 24-jährige Autorin sie gerne hätte.
 
Fra(n)g:
Dass wir trotz äußerlichen Jugendwahns Social keinen überlebenswichtigen Stellenwert geben und gerne eine Kapuze am Sweatshirt haben, ist ja richtig. Aber es ist auch hinlänglich bekannt. 
 
ANTreas:
Deswegen wundere ich mich, dass der Spiegel es jetzt veröffentlicht hat.
 
Fra(n)g:
Vielleicht geht’s der Redaktion um die Zuspitzung.
Je pointierter, desto häufiger gelesen.
 
ANTreas:
Trotzdem ist der Erkenntnisgewinn gering.
Wir wissen jetzt, dass einer jungen Frau ältere Männer auf die Nerven gehen, weil sie modern tun, es aber nicht sind.
Wer hätte das gedacht…
 
Fra(n)g:
Vielleicht ermutigt es die alten Männer, über sich nachzudenken.
 
ANTreas:
Es stachelt sie eher zu ähnlich polemischen Gegenreaktionen an.
 
Fra(n)g:
Und schon haben wir den Generationenkonflikt verschärft.
 
ANTreas:
Päng!
Fick Dich!
Päng!
Fick Dich!
Päng!
Fick Dich!
Schepperschepper!
 
Fra(n)g:
Sagten Sie nicht, dass Sie auf Ihre Formulierungen achten?
 
ANTreas:
Das war Poesie mit Botschaft.
Ich nenne es Diskurs
 
Fra(n)g: 
<lacht> 
Ich interpretiere die letzte Zeile: Keine Verständigung erzielt, Zerstörung auf beiden Seiten. 
 
ANTreas: 
Die Verständigung wird der Eitelkeit geopfert. 
 
Fra(n)g: 
So wie jetzt gerade zwischen uns?
<guckt fragend> 
 
ANTreas: 
Ich meine, dass Wutbriefe, Polemiken und viele Tweets in erster Linie den Absender glänzen lassen sollen. 
Dann geht es nicht mehr um Verständigung, was die gegenseitige Akzeptanz natürlich ungemein erschwert. 
 
Fra(n)g: 
So sieht das sicher auch Kevin Kühnert, der gerade seinen Twitter Account mit 370.000 Followern deaktiviert hat, weil die Plattform nicht das richtige Medium für Senden und Empfangen sei. 
 
ANTreas: 
Selbstdarstellerischer Botschaften, die es so richtig rappeln lassen im Karton, drehen sich halt in erster Linie ums Senden. 
Ums Empfangen geht es da nicht.  
Es sind megaphonierte Einzelmeinungen, die für die Allgemeinheit keine Relevanz haben.
 
Fra(n)g: 
Ich höre daraus ein Plädoyer für stumpfere Bleistifte. 
 
ANTreas: 
Keinesfalls. 
Eher für wahre Überzeugungsarbeit. 
 
Fra(n)g: 
Das müssen Sie erklären. 
 
ANTreas: 
Wer will, dass ein Anderer die eigene Sicht akzeptiert, wird ihm keine respektlose Wortakrobatik an den Kopf knallen, wird ihn nicht verletzen oder wütend machen. 
 
Fra(n)g: 
Als die Boomer noch nicht so genannt wurden, hätte man gesagt, sonst macht das Gegenüber zu. 
 
ANTreas: 
Zum Glück sind einige sprachliche Ungetüme verschwunden. 
Aber, dass es den Kapuzenpulli noch gibt, das finde ich echt nice! 
<überlegt> 
Ach, ich find‘s doch lieber geil.