28.10.2022

VON HÖLZCHEN AUF SÄGEMEHL

 Veränderung ist des Deutschen Sache ja nicht unbedingt. Was wir haben, das haben wir und lassen es nicht so einfach los. 

 

Zurzeit müssen wir trotzdem umlernen. 

An Wandel durch Handel zu glauben, ist zum Beispiel nicht mehr modern, sondern naiv. Gleiches gilt für das Tragen von Atomkraft-nein-danke- oder gar Schwerter-zu-Pflugscharen-Buttons. 

Zum Ausgleich fällt das Horten von Lebensmittelvorräten nun nicht mehr in den Bereich der Spinnerei, sondern der Blackout-Vorsorge und Holzöfen und Kamine haben sich vom Wellnessprodukt zum Überlebensvorteil gemausert.

 

Man solle Wasser und Dosenfutter stapeln und, falls man über Feuerstellen in Wohnzimmer oder Küche verfügt, lieber noch ein bisschen Holz machen, hörte ich neulich im Radio.

 

Holz machen. Was für eine Formulierung! Als ob das begehrte Gut unter einem in die Kloschüssel fällt. Oder man es auf andere Art gottgleich entstehen lässt. 

In Wahrheit geht es um Fällen und Spalten. Beides sehr gefährlich. Ersteres, weil man Bäume auf den Kopf kriegen kann, Letzteres im übertragenen Sinne.

Das hörte ich nämlich ebenfalls im Radio. Mehrfach. 

Die Spaltung der Gesellschaft drohe und das sei nicht gut.
 Ja, dachte ich, das klingt richtig. Aber irgendwann fragt man sich, was das eigentlich sein soll, die Spaltung der Gesellschaft. 

Tschack, Bumm – und in der Mitte durch? 

Oder wie? 

 
Fra(n)g:
Zerfallen wir in Feuerstellenbesitzer und den Rest?
 
ANTreas:
Wenn es nur das wäre. 
Man sagt ja, es sei viel grundsätzlicher.
 
Fra(n)g:
Eher in Dafür und Dagegen?
 
ANTreas:
So war es bei Corona.
 
Fra(n)g:
Die Kämpfer gegen eine Bill-Gates-Weltherrschaft oder die Corona-Diktatur sind allerdings leise geworden. 
Späte Einsicht? 
 
ANTreas:
Das glaube ich nicht. 
Die sind jetzt gegen was Anderes. 
Gegen Inflation zum Beispiel. 
Oder gegen gegen Putin zu sein.
 
Fra(n)g:
Warum dieses grammatikalisch fragwürdige Stottern? 
 
ANTreas:
Wenn man doppelt dagegen ist, ist man rein logisch dafür und das wäre auch einfacher zu formulieren. 
Aber viele der doppelt dagegen Seienden würden abstreiten, dafür zu sein.
 
Fra(n)g:
Dass sie das berücksichtigen, ist sehr rücksichtsvoll von ihnen. Demokratisch vorbildlich. 
So butterweich kenne ich sie sonst gar nicht. 
<denkt kurz nach>
Da fällt mir ein, dass die Butter bei der Kälte in den Buden gar nicht mehr weich wird. Ich hoffe, die Leute können sich noch daran erinnern, was gemeint ist. 
 
ANTreas:
<verdreht die Augen>
Ich bin nicht weich. Ich nehme die Leute ernst.
 
Fra(n)g:
Aber vielleicht muss man gar nicht jede Minderheitenmeinung bierernst nehmen. 
<denkt kurz nach>
Da fällt mir ein, dass Bier nun außerhalb des Kühlschranks gelagert werden kann. 
 
ANTreas:
<verdreht wieder die Augen>
Zurück zum Thema Spaltung.
 
Fra(n)g:
Okay.
Da fragt man sich doch, ob unterschiedliche Ansichten nicht einfach dazugehören. Von wegen der Meinungsfreiheit. 
 
ANTreas:
Natürlich. 
Solange sie sich auf dem Boden der Verfassung bewegen.
 
Fra(n)g:
Meinungspluralität kann also auch nicht gemeint sein.
Vielleicht geht es dann um einen Umsturz. Hin zum Faschismus. Oder zum Kommunismus. Oder zum irgendwas-ismus.
 
ANTreas:
Wer davor warnen will, könnte ja von Umsturz reden. Oder von Radikalisierung und Terrorismus. Oder von Bürgerkrieg. 
 
Fra(n)g:
Klingt nach Alarmismus. 
 
ANTreas:
Und deswegen sagt man Spaltung. 
Damit man nicht alarmistisch klingt. 
 
Fra(n)g:
Könnte sein.
Aber wer glaubt schon an eine Revolution, nur weil ein paartausend Leute spazieren gehen?
 
ANTreas:
Ich nicht.
 
Fra(n)g:
Sehen sie. 
 
ANTreas:
Vielleicht befürchten die vor Spaltung Warnenden, dass Leute sich in Debatten und Diskussionen nicht mehr anständig benehmen.
 
Fra(n)g:
Respekt und Achtung sind wichtig. Das finde ich auch. 
Da fällt mir ein, dass die Tischmanieren, auf die ich sehr stehe, ebenfalls nicht mehr sonderlich weit verbreitet sind. 
 
ANTreas:
Sie schweifen heute gerne ab. 
 
Fra(n)g:
Entschuldigung. Wo waren wir? 
 
ANTreas:
Wir wollten für Anstand plädieren. 
 
Fra(n)g:
Auf alle Fälle.
Aber was genau noch anständig ist und was nicht mehr, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. 
 
ANTreas:
Das muss ein guter Demokrat aushalten. 
Und wenn es zu doll wird, gibt es Gerichte. 
 
Fra(n)g:
Ich gebe ihnen recht – auch wenn wir dadurch in Sachen Spaltung wieder nicht weiterkommen. 
Es ist zum Schädelspalten. 
<lacht gequält über seinen Spruch>
 
ANTreas:
Selbst für einen Witz taugt der Begriff nicht. 
 
ANTreas:
Vielleicht gucken wir mal, was bei der Spalterei entsteht.
 
Fra(n)g:
Zwei Gesellschaften, also zwei Länder?
 
ANTreas:
Das hatten wir doch schon. Und es steht zu vermuten, dass es in einem der beiden trotz aller Meckerei ziemlich leer sein würde. 
 
Fra(n)g:
Vielleicht könnte ein Bundesland sich selbständig machen. 
 
ANTreas:
Bayern?
Das könnte für den Rest der Republik eine verlockende Aussicht sein. 
 
ANTreas:
Wir kommen einfach nicht weiter.
Ich hätte noch die These, dass eine meinungspluralistische Gesellschaft nichts Spaltbares ist.
 
Fra(n)g:
Na, das erzählen sie mal denjenigen, die ständig vor der Spaltung warnen. 
 
ANTreas:
Vielleicht benutzen die einfach das falsche Wort. 
Was ich meine, ist, dass wir aus unterschiedlichen Überzeugungen und Ansichten bestehen. 
Wir sind ja nicht Nordkorea. 
 
Fra(n)g:
Individualität ist quasi die DNA unseres Zusammenleben.
 
ANTreas:
Na, da haben sie aber einen rausgehauen. 
 
Fra(n)g:
Danke.
Und sie meinen, dass es, solange sich alle auf die Unterschiedlichkeit der Einzelnen verständigen können, keine Blöcke gibt, die man mit Äxten kaputthauen könnte?
 
ANTreas:
Genau. Wir sind ja nur locker verbunden. Eher wie ein Haufen Sägemehl. Und der lässt sich nicht zerschlagen. 
 
Fra(n)g:
Höchstens der Boden, auf dem er liegt. 
Aber das wäre ein Umsturz. 
 
ANTreas:
Also geht es gar nicht um Spaltung, wenn davon geredet wird. 
 
Fra(n)g:
Sondern ums Gegenteil. 
 
ANTreas:
Darum, dass sich zu viele Individuen zu einer gleichen Masse verkleben. 
 
Fra(n)g:
Dass aus Sägemehl wieder Holz wird.
 
ANTreas:
Diesmal übertreiben sie es aber mal mit dem Bild. 
Das wäre wie Holz zu kacken.  
Das geht nicht. 
 
Fra(n)g:
Dann halt eine Spanplatte.
 
ANTreas:
Treffer. 
Wir sollten die Spanplattisierung der Gesellschaft verhindern.
 
Fra(n)g:
Weil nur Sägemehl Demokratie ist. 
 
ANTreas:
Und schon geht die Metapher mit uns durch wie ein wilder Gaul.
 
Fra(n)g:
Was andere können, können wir schon lange.


28.09.2022

KALT GENUG FÜR PUTIN, WARM GENUG FÜR MICH

Man soll ja nicht mehr von schlechtem Wetter reden. 

 

Nicht, weil das dessen Gefühle verletzen würde. Nein, eher die der Meteorologen. Die leiden da quasi mit. 

Kälte sei gar nicht so schlimm - man könne ja mal die Gletscher fragen. Und Regen erst recht nicht. Wer den nicht freudig umarme, mache sich gemein mit der fiesen Dürre. 

 

Wahrscheinlich ist die Wasserknappheit auch dadurch entstanden, dass wir Menschen zu viel über den Regen geschimpft haben. 

Der ist jetzt beleidigt. 

 

Ich will Kackwetter aber weiter so nennen und ordentlich darüber schimpfen. 

Was um Himmels willen soll ich daran schön finden, dass die noch nicht abgefallenen Blüten depressiv nach unten hängen, dass es zu dunkel zum Lesen ist und ich mir wegen Putins Pack auch drinnen den Allerwertesten abfriere? Wobei man den ja noch zwiebelstrategisch verpacken kann. Aber die Nase? Und die Finger?

 

Ihr lieben Kölner und Frankfurter mit euren 14 und ihr ebenfalls lieben Hamburger und Berliner mit euren immerhin zwölf Grad, ihr könnt jetzt ruhig die Augen verdrehen und mich Weichei schimpfen. Im Wolkenstau des nördlichen Alpenvorlands hat es neun Grad. Neun. Das ist eins weniger als zehn. Gefühlt sieben. Sagt die App. 

 

Wenn das so weitergeht, bezwinge ich diesen Putin ganz allein.

 
Fra(n)g:
Warum dreht man denn nicht einfach die Heizung an? 
Ist ja nicht so, dass nichts rauskommt.
 
ANTreas:
Weil Heizen eine moralische Frage geworden ist.
 
Fra(n)g:
Erst kommt das Heizen, dann die Moral, würde Brecht sagen.
 
 
ANTreas:
In seinem Sinne wäre zu klären, wieviel Grad der Mensch braucht, bevor er sich darum kümmern kann, einem imperialistischen Schweinehund die Grenzen seines Einflusses aufzuzeigen.
 
Fra(n)g:
Deswegen ist Brecht ein Dichter und sie nicht: Der braucht nur einen Bruchteil der Wörter. 
 
ANTreas:
Und sie brauchen nur neunzehn Grad. Oder zwanzig. 
In dem Bereich pendelt sich die politische Diskussion ein.
 
Fra(n)g:
Sind Thermometer eigentlich schon klopapierknapp?
 
ANTreas:
Demnächst bestimmt. Vielleicht sollte man sich vorsichtshalber mal drei besorgen. 
 
Fra(n)g:
Ich habe schon das Fieberthermometer rausgeholt. 
Aber das zeigt nur Lo an. 
 
ANTreas:
Ein Messgerät mit Rechtschreibschwäche.
Aber ein Fieberthermometer muss auch nicht in den Putinbereich messen können. 
Wenn es in ihnen drinnen nur noch zwanzig Grad hat, 
sind sie eh weg vom Fenster. 
 
Fra(n)g:
Bin ich ohnehin. 
An der Scheibe ist es ja noch kälter.
 
ANTreas:
Ui. Ein echter Sauerländer. 
 
Fra(n)g:
Sie müssen erklären, was das sein soll. 
 
ANTreas:
Dem Begriff liegt zugrunde, dass die Leute im Sauerland einen recht eigenwilligen Zugang zum Humor haben. 
 
Fra(n)g:
Witze, die so lustig sind wie Friedrich Merz, wäre eine kürzere Beschreibung gewesen. 
 
ANTreas:
Anscheinend sind sie heute für die Poesie zuständig. 
 
Fra(n)g:
Der kleine Pöt Fra(n)g. Das gefällt mir. 
 
ANTreas:
Zurück zum Ernst des Heizens. 
 
Fra(n)g:
Ich habe schon mit dem Ohr am Thermostat geklebt, um zu hören, wann es knackt. Aber auch da gab es keine Antwort auf die Frage, wann es zugleich kalt genug für Putin und warm genug für mich ist.  
 
ANTreas:
Sparen sie doch einfach so viel wie möglich. 
 
Fra(n)g:
Möglich ist vermutlich viel. 
 
ANTreas:
Verzichtbar ist das bessere Wort.  
 
Fra(n)g:
<jammert>
Es ist so schwierig zu erkennen, was überflüssig ist. 
 
ANTreas:
Überflüssig ist die FDP in der Bundesregierung. 
In unserer Diskussion geht es eher um Überfluss. 
 
Fra(n)g:
Und Überfluss ist das, was andere zu viel haben.  
 
ANTreas:
Deren Bedarf festzulegen, fällt uns erstaunlich leicht.  
 
Fra(n)g:
Nur bei uns selbst hapert es.  
 
ANTreas:
Dann tun sie doch einfach so, als seien sie jemand anders. 
 
Fra(n)g:
Machen wir das hier nicht sowieso die ganze Zeit?
 
ANTreas:
Da ist was dran. 
Dann kann ich ihnen ja einfach sagen, wann es für sie warm und für Putin kalt genug ist. 
 
Fra(n)g:
Danke!
Mir fällt ein Eiswürfel vom Herzen. 
 
ANTreas:
Und sie passen auf, dass ich nicht zu lange dusche.  
 
Fra(n)g:
Wunderbar. Ich freue mich drauf.  
 
ANTreas:
Wenn sie zu früh Stopp sagen, stinke ich. 
 
Fra(n)g:
Und sie müssen meine miese Stimmung ertragen, falls es zu eisig ist. 
Aber gemeinsam feiern wir jeden kleinen Fröstelbeitrag als Sieg! 
Für die Freiheit! 
Für die Demokratie! 
Für uns!
 
<Pause. Sie stehen sich gerührt gegenüber>
 
ANTreas:
<nach längerer Überlegung>
Der kalte Krieg ist irgendwie anders kalt als früher.  


13.09.2022

BOOMERBASHING


Es ist ja nicht so, dass Leute noch oft mit Bleistift schreiben. Tastaturen, Displays und Kulis haben längst gewonnen. Aber selbst, wenn sie es tun - wer braucht dann noch einen Spitzer, um das Holz zu entfernen und die Mine anzuspitzen? Heutzutage drückt man aufs Knöpfchen, ein kleines Stück mit Ton gebrannten Graphits, formvollendet, schiebt sich ans Tageslicht und weiter geht’s mit der Kritzelei. 

 

Worauf ich hinauswill? 

 

Ich habe überlegt, ob die mangelnde Verwendung des Schreibwerkzeugs samt seines schärfenden Hilfsgeräts dazu geführt hat, dass mittlerweile anderswo zugespitzt wird, was das Hirn hergibt. Irgendworan muss  die Lust am verbalen Dolchstoß doch liegen. 

 

Fra(n)g:
Dass es mit Bleistiften zu tun hat, ist nun wirklich zu weit hergeholt.
Das glaube ich auf keinen Fall.
 
ANTreas:
Regen Sie sich ab.
Die Überlegung war wahrscheinlich nicht seriös durchdacht, sondern lediglich Ausdruck des gefühlten Fehlens einer rationalen Begründung.
 
Fra(n)g:
Doppelter Genitiv!
Ist heute Welttag des gehobenen Ausdrucks?
 
ANTreas:
Ich achte lediglich auf meine Formulierungen.
 
Fra(n)g:
Ist das das Gleiche wie zuspitzen?
 
ANTreas:
Nein, eher der Versuch, präzise zu sein.
Die Zuspitzung vereinfacht, lässt weg oder übertreibt.
 
Fra(n)g:
Damit man es besser kapiert?
 
ANTreas:
Eher, damit man es so sieht, wie der Absender.
Eine Zuspitzung ist im Grunde genommen wie Brüllen ohne laut zu werden.
 
Fra(n)g:
Also ein Versuch, sich durchzusetzen und die Macht an sich zu reißen.
 
ANTreas:
Nur dass man dabei besser wegkommt als ein cholerischer Schreihals mit roter Birne.
 
Fra(n)g:
Aber geht es nicht auch darum, eine Sache so richtig auf den Punkt zu bringen?
 
ANTreas:
Wie gesagt, auf den Punkt des Absenders. Und der will dabei schlau und sprachgewandt wirken.
 
Fra(n)g:
Sie meinen, man will nicht nur inhaltlich gewinnen, sondern auch beim Poetry Slam mit IQ-Battle.
 
ANTreas:
So würde ich den Wutbrief einer Studentin des Kreativen Schreibens gegen die Hoodie-Boomer verstehen, den der Spiegel verblüffenderweise veröffentlicht hat.
 
Fra(n)g:
Was steht drin?
 
ANTreas:
Beschimpfung der Menschen, vorwiegend der Männer, zwischen Anfang 50 und Ende 60 als digital Zurückgebliebene und Hoodie-Figurtrickser, weil sie nicht so sind, wie die 24-jährige Autorin sie gerne hätte.
 
Fra(n)g:
Dass wir trotz äußerlichen Jugendwahns Social keinen überlebenswichtigen Stellenwert geben und gerne eine Kapuze am Sweatshirt haben, ist ja richtig. Aber es ist auch hinlänglich bekannt. 
 
ANTreas:
Deswegen wundere ich mich, dass der Spiegel es jetzt veröffentlicht hat.
 
Fra(n)g:
Vielleicht geht’s der Redaktion um die Zuspitzung.
Je pointierter, desto häufiger gelesen.
 
ANTreas:
Trotzdem ist der Erkenntnisgewinn gering.
Wir wissen jetzt, dass einer jungen Frau ältere Männer auf die Nerven gehen, weil sie modern tun, es aber nicht sind.
Wer hätte das gedacht…
 
Fra(n)g:
Vielleicht ermutigt es die alten Männer, über sich nachzudenken.
 
ANTreas:
Es stachelt sie eher zu ähnlich polemischen Gegenreaktionen an.
 
Fra(n)g:
Und schon haben wir den Generationenkonflikt verschärft.
 
ANTreas:
Päng!
Fick Dich!
Päng!
Fick Dich!
Päng!
Fick Dich!
Schepperschepper!
 
Fra(n)g:
Sagten Sie nicht, dass Sie auf Ihre Formulierungen achten?
 
ANTreas:
Das war Poesie mit Botschaft.
Ich nenne es Diskurs
 
Fra(n)g: 
<lacht> 
Ich interpretiere die letzte Zeile: Keine Verständigung erzielt, Zerstörung auf beiden Seiten. 
 
ANTreas: 
Die Verständigung wird der Eitelkeit geopfert. 
 
Fra(n)g: 
So wie jetzt gerade zwischen uns?
<guckt fragend> 
 
ANTreas: 
Ich meine, dass Wutbriefe, Polemiken und viele Tweets in erster Linie den Absender glänzen lassen sollen. 
Dann geht es nicht mehr um Verständigung, was die gegenseitige Akzeptanz natürlich ungemein erschwert. 
 
Fra(n)g: 
So sieht das sicher auch Kevin Kühnert, der gerade seinen Twitter Account mit 370.000 Followern deaktiviert hat, weil die Plattform nicht das richtige Medium für Senden und Empfangen sei. 
 
ANTreas: 
Selbstdarstellerischer Botschaften, die es so richtig rappeln lassen im Karton, drehen sich halt in erster Linie ums Senden. 
Ums Empfangen geht es da nicht.  
Es sind megaphonierte Einzelmeinungen, die für die Allgemeinheit keine Relevanz haben.
 
Fra(n)g: 
Ich höre daraus ein Plädoyer für stumpfere Bleistifte. 
 
ANTreas: 
Keinesfalls. 
Eher für wahre Überzeugungsarbeit. 
 
Fra(n)g: 
Das müssen Sie erklären. 
 
ANTreas: 
Wer will, dass ein Anderer die eigene Sicht akzeptiert, wird ihm keine respektlose Wortakrobatik an den Kopf knallen, wird ihn nicht verletzen oder wütend machen. 
 
Fra(n)g: 
Als die Boomer noch nicht so genannt wurden, hätte man gesagt, sonst macht das Gegenüber zu. 
 
ANTreas: 
Zum Glück sind einige sprachliche Ungetüme verschwunden. 
Aber, dass es den Kapuzenpulli noch gibt, das finde ich echt nice! 
<überlegt> 
Ach, ich find‘s doch lieber geil. 

23.08.2022

TAUSENDFÜSSEREINMALEINS


Dieser Sommer wählt bestimmt die FDP. 

Voll auf Leistung getrimmt hat er sich angestrengt, diverse Rekorde gebrochen, sein Bestes gegeben. 

Und was passiert? 

Die Leute klagen und sind besorgt. 
Da ist der Sommer beleidigt.

 

Christian Lindner – wahrscheinlich hat er sich mit 19 nicht nur den ersten Porsche, sondern auch die erste Klimaanlage gekauft - hat dafür Verständnis. Er nennt so etwas linkes Framing. Oder grünes. Wer den Sommer disst, ist nur neidisch auf dessen Strahlkraft, will er damit sagen. 
Oder so was in der Richtung. 
Wer weiß schon genau, worüber der doziert.  

 

Der eingeschnappte Sommer fühlt sich von ihm aber sicherlich verstanden. 

 

Ich möchte die heiße Jahreszeit nicht in Schutz nehmen, könnte ihn aber damit trösten, dass er dem Kleingetier anscheinend gut gefallen hat. Bei uns auf der Terrasse brummt es, als ob es kein Morgen gäbe. 
Was ja sein kann, denn so winzige Wesen kommen ja schnell mal in den Schnabel. Oder unter die Klatsche. 

Bienen, Wespen und Hummeln hingegen haben wir bewundert wie Haustiere, die Männchen machen. 

Ebenso einen Tausendfüßer. Der muss zu Fuß in den sechsten Stock gereist sein. Ist ja kein Tausendflügler. Und obwohl es eine Art gibt, die es auf 1306 Beine bringt, weiß mittlerweile jedes Kind, dass die meisten Tausendfüßer nicht so viele Beine haben, wie der Name verspricht.

 

Aber mehr als wir haben sie allemal. Und auch mehr als der Feldhamster, die Brunnenschnecke, der Steppenkiebitz oder der Europäische Aal. 
Die sind in Deutschland vom Aussterben bedroht. 

 

Der Tausendfüßer nicht. 

 

Fra(n)g:
Was lernen wir daraus?
 
ANTreas:
Vermutlich nichts. 
 
Fra(n)g:
Falsch! 
 
ANTreas:
Vielleicht können wir darüber sprechen, dass einige Tausendfüßerarten auf Madagaskar auch auszusterben drohen... 
 
Fra(n)g:
Nein, können wir nicht. 
Diese Tatsache ist bedauerlich, sie passt aber nicht zu meinem Bild. 
Madagaskar kann hier leider keine Berücksichtigung finden. 
 
ANTreas:
Na gut, dann schießen sie mal los mit ihrer halbgaren Symbolik. 
 
Fra(n)g:
<freudig>
Wir lernen daraus, dass viele kleine Schritte etwas verändern können. 
 
ANTreas:
Ich bin mir nicht sicher, ob man für diese banale Erkenntnis Vergleiche mit dem Tierreich benötigt. 
 
Fra(n)g:
Wie kommen Sie darauf, dass diese Erkenntnis banal sein soll?
 
ANTreas:
Das habe ich eher so dahingesagt. 
Wie man das manchmal tut. 
 
Fra(n)g:
So wie Söder, Lindner und Merz, die drei Neuen von der Tankstelle, dahinsagen, dass kürzer Duschen naiv und lächerlich ist?
 
ANTreas:
Ja. Schon irgendwie so. Ein bisschen umgekehrt. 
 
Fra(n)g:
Trotzdem mit dem Ziel, meine Aussage ins Unseriöse zu befördern? 
 
ANTreas:
Sie urteilen heute ziemlich scharf.
 
Fra(n)g:
Ich möchte nur verdeutlichen, dass man sehr selten etwas so dahinsagt. Meistens will man mit einer Aussage etwas erreichen. 
 
ANTreas:
Okay. Dann ganz lakonisch zurück zum Energiesparen. Denn darum geht es Ihnen ja offensichtlich. 
 
Fra(n)g:
Ich möchte noch bei meinem Bild bleiben! 
Stellen Sie sich vor, der Tausendfüßer hätte nur zwei Beine,
 
ANTreas:
<unterbricht ihn>
Dann hieße er anders.
 
Fra(n)g:
Haha. 
<fährt fort>
was meinen Sie, wie groß seine Schaufeln sein müssten, damit er mit den wenigen Extremitäten durchs Erdreich käme?
 
ANTreas:
Wenn er denn durch den Boden will.
 
Fra(n)g:
Wollen viele. 
 
ANTreas:
Dann viel größer. 
Und für die bräuchte er einen größeren Körper. 
Mit Muckis.
<lacht> 
Und so wäre er ruckzuck ein Maulwurf. 
<lacht noch mehr>
Was wollen Sie mir mit ihrem Bild denn nun eigentlich sagen?
 
Fra(n)g:
Dass wir alle kleine Beinchen sind. 
 
ANTreas:
Ich bin ja gewöhnt, dass Sie assoziativ gelockert sind. 
Aber heute ist es besonders ausgeprägt. 
 
Fra(n)g:
Ich will doch nur darauf hinweisen, dass über zwölftausend Arten von Tausendfüßlern gut mit vielen kleinen Schritten durchs Leben kommen. 
Und dass viele kleine Beine enorme Kraft erzeugen können. 
 
ANTreas:
Dann sagen Sie doch, dass man die Herausforderung, sich durch die Erde zu wühlen, auch anders lösen kann als das Krafttier Maulwurf mit seinen kurzen, starken Armen und den bekrallten Handflächen.
 
Fra(n)g:
Klugscheißer!
 
ANTreas:
Das habe ich gehört!
 
Fra(n)g:
Wir sind über 80 Millionen! 
 
ANTreas:
Man muss sich also nicht grämen, weil man allein keinen großen Wurf hinkriegt.
 
Fra(n)g:
So ist es. 
Im Grunde genommen sollte man jede Kleinigkeit mit 80 Millionen multiplizieren. 
 
ANTreas:
Eine Minute weniger geduscht, macht 80 Millionen Minuten, macht gut 1,3 Millionen Stunden, macht 55.555 Tage, macht 7937 Wochen, macht mehr als 152 Jahre.
 
Fra(n)g:
Danke fürs Rechnen. 
Wir reden also über eine Brause, die seit 1870 lang ununterbrochen vor sich hinbraust.
 
ANTreas:
Man würde übrigens ungefähr 40 Millionen Kilowattstunden einsparen. 
 
Fra(n)g:
Was Sie so alles wissen... Es klingt auf jeden Fall viel.
 
ANTreas:
Ist es auch. Und das nur von dem kleinen bisschen weniger Duschen. 
 
Fra(n)g:
Sehen Sie. Es muss nicht alles exponentiell wachsen. Davon haben wir doch eh die Nase voll. 
Manchmal reicht normale Multiplikation. 
 
ANTreas:
Die verstehen auch viel mehr Leute.
 
Fra(n)g:
Und weil es so einfach ist, können jetzt viel mehr mitmachen als beim Impfen. 
<stutzt>
 
ANTreas:
Habe ich da einen leichten Zweifel gesehen?
Mit Recht!
Hier beginnt nämlich die Krux im Vergleich zum Tausendfüßer.
 
Fra(n)g:
Warum?
 
ANTreas:
Wir sind nicht angewachsen und laufen deswegen nicht in die gleiche Richtung. 
 
Fra(n)g:
Aber das große Einmaleins funktioniert für alle gleich!
 
ANTreas:
Ein 160-Millionen-füßiges Einmaleins sozusagen. 
Und wenn nur die Hälfte mitmacht, ist es immer noch viel.
 
Fra(n)g:
<wieder optimistisch>
Ich wusste, dass der Tausendfüßer ein mindestens so gutes Maskottchen fürs Energiesparen ist wie der Gfreidi für die European Championships. 

ANTreas:
Naja, der hatte einen Namen, der keiner ist, und war nicht gerade der Schönste. 

Fra(n)g:
Aber er war voller Energie. 
So wie Gwaschdischneller. 
 
ANTreas:
<schüttelt den Kopf>
Ein Plüschwurm mit solidarischen Beinen...

Fra(n)g:
Ich sehe, Sie können mir folgen!

03.08.2022

KRITISIERZIELKORREKTUR


  • Wenn man der Verwandtschaft was spendiert hat und die vergessen, Danke zu sagen. 
  • Wenn die hormongesteuerte Kardaschianistin in der Bahn keine Maske trägt, um den Lippenstift zu schonen. 
  • Wenn man sich das zu laute Geschwätz von Menschen am Nebentisch anhören muss. 
  • Wenn der Chef die gute Leistung jemandem anders zuschreibt.

 

Es gibt noch viel mehr Momente, in denen man sich fragt, wie man es sagen soll. 
Doch meistens bleibt es bei der Überlegung. Weil man keine gute Antwort findet, reagiert man am Ende lieber gar nicht.  


Nur damit man sich dann nicht nur über die Anderen, sondern auch noch über sich selbst ärgert. 

 

Keine sonderlich gute Bilanz.

 

Fra(n)g:
Warum sagt man Dinge, die man sagen möchte, so oft nicht?
 
ANTreas:
Weil man schlechte Stimmung befürchtet.
 
Fra(n)g:
Also aus Feigheit.
 
ANTreas:
So radikal wird das nichts.
 
Fra(n)g:
Okay. Dann also, um Dissonanzen zu vermeiden.
 
ANTreas:
Mit Fremdwort klingt die Meinungsverschiedenheit gleich viel harmonischer.
 
Fra(n)g:
Man könnte sie auch in Stimmungshits und Schlager verpacken.
Komm, hol die Maske raus, wir spielen Virus und Corona.
Oder
Merci, merci, merci, das sagst du jetzt zu mir, zu mir, zu mir.
Oder
Das ist der perfekte Blödsinn, das ist der perfekte Schmalz, hör doch einfach auf zu reden, denn das hängt mir aus dem Hals.

ANTreas:
Ich befürchte, es fällt einem nicht in jedem Augenblick das passende Lied ein.

Fra(n)g:
Das könnte sein. Schlagfertig ist man meistens erst, wenn die Schlacht fertig geschlagen ist.

ANTreas:
Ein Lied kann eine Brücke sein stimmt sowieso nicht immer.
Nur Platz 17 beim Grand Prix Eurovision de la Chanson.
Und fragen Sie mal den ADAC, die meisten Überführungen sind eh marode.

Fra(n)g:
Jetzt haben Sie mir sehr schön gesagt, dass Sie meine Idee, die Kritik zu singen, kacke finden.

ANTreas:
Das Wort Kacke sollte man beim Kritisieren auf jeden Fall vermeiden.

Fra(n)g:
Ich verstehe, Höflichkeit siegt.
Aber die ist leider keine Garantie für eine freundliche Antwort. 

ANTreas:
Wer etwas Nettes zurückbekommen möchte, sollte dem Gegenüber recht geben.

Fra(n)g:
Zum Beispiel Lieber Chef, es freut mich total, dass Du X für die Idee Y gelobt hast. Ich brauche eh nicht so viel Zuspruch.?

ANTreas:
Wer so etwas sagt, kann immerhin mit einer Reaktion rechnen.

Fra(n)g:
Die Frage ist, wie sie ausfällt.

ANTreas:
Das erscheint mir ohnehin die zentrale Frage des Problems.

Fra(n)g:
Sie meinen?

ANTreas:
Die Erwartung, mit der man jemanden kritisiert.

Fra(n)g:
Natürlich soll der die Dinge dann so sehen wie ich.

ANTreas:
Sofort und auf der Stelle!

Fra(n)g:
Genau!

ANTreas:
Dann sollten Sie nicht kritisieren, sondern foltern.

Fra(n)g:
Ehrlich?

ANTreas:
Nein, das war ein Scherz.
Nur sehr dumme Leute glauben, dass Folter zu irgendetwas anderem als zu Verletzung und Tod führt.

Fra(n)g:
Aber haben nicht die Amerikaner in Guantanamo…

ANTreas:
Ich habe niemanden direkt angesprochen.

Fra(n)g:
Das nennt man Diplomatie.

ANTreas:
Ich würde sagen, es ist ein Utensil im großen Besteckkasten.
Aber vielleicht denken Sie noch einmal darüber nach, ob es auch etwas kleiner ginge als sofortige und umfassende Verhaltensänderung.

Fra(n)g:
Nur mal kurz drüber nachdenken?

ANTreas:
Das würde die Latte deutlich tiefer legen.

Fra(n)g:
Warum denke ich jetzt an schreckliche Karren?

ANTreas:
Weil der Mensch manche Sachen nun einmal nicht leiden kann.

Fra(n)g:
Sie meinen, ich bin mit meinem Wunsch, Kritik zu äußern nicht allein?

ANTreas:
Natürlich nicht.
Aber dass jeder das Gleiche kritisiert, das wird nicht passieren.

Fra(n)g:
Deswegen die Latte tiefer legen.

ANTreas:
Abrüstung sozusagen. In diesen Zeiten ist das doch eine verführerische Option.

Fra(n)g:
„Hey Chef, kennst du die Ricola Werbung?“
„Wer hats erfunden?“
„Genau die.“

ANTreas:
Launig.

Fra(n)g:
Ich würde ihnen empfehlen, eine Maske zu tragen. Ich glaube, ich habe Corona.
 
ANTreas:
Tapfer.
 
Fra(n)g:
„Kennen Sie meinen Onkel?
Nein?
Ich auch nicht. Wir laden ihn seit zwanzig Jahren nicht mehr ein, weil er immer so ein Quatsch erzählt wie sie.“
 
ANTreas:
Lebensmüde.
 
Fra(n)g:
Man kann nicht immer grandios sein.
 
ANTreas:
Das anzuerkennen, genau darum geht es. 
Man muss gar nicht besser sein als der Gegenüber, sondern man hat einfach nur eine andere Meinung. 
 
Fra(n)g:
Übrigens habe ich eine weitere Idee.
 
ANTreas:
Die wäre?
 
Fra(n)g:
Man schreibt eine Kolumne zum Thema.
 
ANTreas:
Damit kann man natürlich auch einiges sagen. 
Ist aber eher eine langfristige Lösung.
 
Fra(n)g:
Auf so ein Dankschön kann man ja eine Weile warten. 
 
ANTreas:
Dann müssen sie aber erst einmal die richtigen Leute lesen. 
 
Fra(n)g:
Wieder einmal kein perfekter Plan. 
 
ANTreas:
Genau darum geht es.

 

19.07.2022

GRÖLGRENZKONTROLLE


Angegraut zu sein, hat manchmal Vorteile. 

 Zum Beispiel können wir Boomer und Fast-Boomer uns an den ursprünglichen Sinn des Worts erinnern, wenn wir über Grenzüberschreitungen reden. Da hat man direkt die innerdeutsche Grenze und die Berliner Mauer vor Augen. Und die eigene Angst, wenn man seine Dokumente vorzeigen musste. Wer keine Panik schob, fühlte sich zumindest unwohl, denn die Damen und Herren an den Schlagbäumen waren wahrlich nicht auf Kundenorientierung getrimmt. Unsere Guest Experience war denen völlig schnuppe, denn Trinkgeld durften sie eh nicht nehmen. 

 Dass Grenzen viel mehr als Linien auf einer Landkarte sein können, ist man heute gar nicht mehr gewöhnt. 

 So viel zu unserem westlich zentrierten Weltbild. 

Viele Leute in der DDR haben uns Wessis damals wahrscheinlich um den Schiss in den Buxen beneidet. Und über schlichte Schikanen an der Tür in ein neues Land würden sich die Leute auf Schlauchbooten im Mittelmeer eher kaputtlachen. 

Grenzen nicht überschreiten zu können, ist nämlich viel blöder als Grenzüberschreitungen. 


Das sollten auch die vielen Diskutanten über den Nummer-Eins-Hit Layla nicht aus den Augen verlieren. 

 

Fra(n)g:
Was hat Eric Clapton damit zu tun?
 
ANTreas:
Nichts.
Es geht um zwei Stimmungsanheizer vom Ballermann.
Die haben ihre eigene Layla .
 
Fra(n)g:
Ich kenne nur die von Clapton.
Der singt eher Leela.
 
ANTreas:
Vermutlich sind sie in guter Gesellschaft und nicht alle, die über das Lied reden, kennen es tatsächlich. Neulich hat sich sogar der Bundesjustizminister geäußert.
Ob der beim Ballermann war?
 
Fra(n)g:
Nee.
Der ist bei der FDP.
 
ANTreas:
Vorsicht bei Vergleichen...
 
Fra(n)g:
<grinst>
Ich fand meinen gut.
 
ANTreas:
So sind Blickweisen unterschiedlich.
Beim Lied Layla geht es übrigens auch nur um ein paar Wörter.
 
Fra(n)g:
Stimmungskanonen schießen im Allgemeinen nicht mit einem großen Wortschatz.
 
ANTreas:
Die Mallorca-Könige singen meistens La La La, manchmal Layla.
Ist aber völlig egal, weil sich beides nicht auf geiler reimt.
 
Fra(n)g:
Soll es das denn?
 
ANTreas:
Davon gehe ich aus.
Es ist ja so, dass die Zuhälterin Layla angeblich schöner, jünger und geiler ist.
Übrigens arbeitet sie für den einen Sänger und der andere soll sie kennenlernen, soviel zum Spannungsbogen der Geschichte.
 
Fra(n)g:
Sie könnte einfach geila sein.
 
ANTreas:
Aber das ist kein Wort.
 
Fra(n)g:
Das Lied hat ja auch keine Story.
 
ANTreas:
Wir können zumindest festhalten, dass es Goethe, Brecht oder Heinz Erhard nicht passiert wäre.
 
Fra(n)g:
Man sollte in der Sprache der Dichter und Denker ein bisschen sorgfältiger arbeiten!
 
ANTreas:
Das wäre zu wünschen.
Aber nach zwei Litern Bier reimt man sich eh einiges zusammen.
 
Fra(n)g:
Zum Beispiel, dass man selbst ein geiler Keiler ist?
<lacht>
 
ANTreas:
<rhythmisch>
Und ihr Niveau geht superflott
Ganz steil bergab bis zum Schafott.
 
Fra(n)g:
Ohje.
Lieber wieder zurück zum ballermännischen Ernst.
Wegen fehlerhafter Reime soll das Lied nun in Würzburg und Düsseldorf nicht mehr gespielt werden?
 
ANTreas:
Nein, es geht um Grenzüberschreitungen.
 
Fra(n)g:
Zu blöd?
 
ANTreas:
Zu sexistisch.
Aber blöd spielt sicher auch eine Rolle.
 
Fra(n)g:
Kann etwas sexistisch sein, wenn es an sich schon zu blöd ist? Oder darf man es dann nicht ernst nehmen?
 
ANTreas:
Nichtwissen schützt nicht vor Strafe.
 
Fra(n)g:
Blödheit ist allerdings auch nicht verboten.
 
ANTreas:
Aber schlecht auszuhalten.
Sonst hätten die Kirmesveranstalter den Song nicht von der Playlist genommen.
 
Fra(n)g:
Mehr steckt nicht dahinter?
Das ist ja nichts Anderes als bei mir und Whitney Houston!
 
ANTreas:
Und bei mir mit Linsen.
 
Beide:
Wollen wir nicht!
Mögen wir nicht!
Bäh!
<lachen>
 
Fra(n)g:
Also eher ein privates Ding?
 
ANTreas:
Na ja, die Veranstalter sind halt die Kommunen.
 
Fra(n)g:
Und die meinen, dass Besoffene, die nicht mehr Puffmutter und geiler grölen, demnächst im Puff ganz respektvoll von der geschätzten Sexarbeiterin, Fellatio und den Wonnen des für alle Beteiligten erfüllenden Geschlechtsverkehrs reden?
Und das auch so meinen?
 
ANTreas:
Das kann man sich nicht vorstellen.
Die finden wahrscheinlich eher, dass man nicht alles öffentlich brüllen muss, was einem durch den Kopf geht.
 
Fra(n)g:
Da ist was dran.
Aber besser wäre, man würde das Lied nicht mitsingen, weil man seinen Text weder lustig noch cool findet.
 
ANTreas:
Eine schöne Vorstellung…
Und bis dahin?
 
Fra(n)g:
<überlegt>
Wie wäre es mit einer Gegenversion für Frauen?
 
ANTreas:
Krieg der Geschlechter?
 
Fra(n)g:
Nein. Dumm schlägt Dümmer.
So etwas wie Puff-Hans, dick, dumm, faul und Mini-Schwanz.
 
ANTreas:
Immerhin reimt sich das.
 
Fra(n)g:
Und dummes Zeug zu grölen, kann ja auch ein Ventil sein.
 
ANTreas:
Wer betrunken Layla plärrt, vergisst Inflation, Ungerechtigkeit und Sorgen?
Das glauben Sie doch nicht im Ernst.
 
Fra(n)g:
Nö.
Aber er fühlt sich im Moment kräftig.
 
ANTreas:
Warum eigentlich?
 
Fra(n)g:
Weil er glaubt, dass er nicht nur fickt wie ein Weltmeister, sondern auch so singt?
 
ANTreas:
<erstarrt>
 
Fra(n)g:
Entschuldigung.
 
ANTreas:
Wahrscheinlich fühlt er sich ein bisschen mächtig, weil er etwas wagt, was andere nicht machen.
 
Fra(n)g:
Und weil er nicht glaubt, dass die nicht wollen, sondern fälschlicherweise davon ausgeht, dass sie sich nicht trauen?
 
ANTreas:
Vielleicht denkt er, die ganze Welt möchte sich eigentlich schlecht benehmen.
Ungefähr so wie Dieter Bohlen. Der kommt ja auch zurück zu RTL.
 
Fra(n)g:
Warum das denn?
 
ANTreas:
Weil deren Publikum mehr schlechten Stil will als Florian Silbereisen bieten kann.
 
Fra(n)g:
Sie meinen einen Stil, der gängige Erziehungs- und Höflichkeitsnormen ignoriert?
 
ANTreas:
Und der Mich kriegt ihr nicht, ihr Spießer! brüllt. 
 
Fra(n)g:
Glauben RTL-Zuschauer, Ballermann- und Volksfestgröler, sie seien unkonventionell?
 
ANTreas:
Zumindest im Moment des Grölens.
 
Fra(n)g:
Das ist mindestens so befremdlich wie davon auszugehen, dass eine Volksfest-Playlist die Welt verändert. 
 
ANTreas:
Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

06.07.2022

LUG UND TRUG


Wenn mein Mann mich veräppelt, stehen seine Lippen einen Spalt offen. 

Zum Beispiel frage ich: „Na, haben wir uns wieder einen neuen Pulli geleistet?“ 

Er schüttelt dann den Kopf und sagt: “Nein“. 

Und dann vergisst er vor lauter Aufregung den Mund wieder zuzumachen. 

 

Als Herr Xi erklärt hat, das Prinzip Ein Land, zwei Systeme gelte auch 25 Jahre nach der Übergabe Hongkongs an China, habe ich ganz genau hingeguckt. Der schmallippige Mund ging zu.

 

Nun kann man schlecht behaupten, dass Herr Xi die Wahrheit gesagt hat. 

Der Mann geht mit Presse-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit ja eher eigenwillig um, obwohl die allesamt in einem Vertrag festgehalten sind, den die Briten damals mit den Chinesen ausgehandelt haben. Die Hongkonger sollten ihre Art zu leben beibehalten können. Sogar bei den Vereinten Nationen haben sie diesen Vertrag deponiert. 

Damit sich auch jeder an ihn halte. 

  
Fra(n)g:
Wie geht man mit Lügnern um?
 
ANTreas:
Am besten gar nicht. 
 
Fra(n)g:
Und wenn das nicht geht?
 
ANTreas:
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. 
 
Fra(n)g:
Also würden Sie Herrn Putin keinen Gebrauchtwagen abkaufen? 
 
ANTreas:
Lieber nicht. 
Aber der wird ja eh sanktioniert.
 
Fra(n)g:
Nur von einigen. 
Sie könnten sich als Chinese oder Inder ausgeben, dann ginge es. 
 
ANTreas:
Würde mir das jemand glauben?
 
Fra(n)g:
Ich habe den Eindruck, wer Diktator werden möchte, darf sich diese Frage nicht stellen. 
 
ANTreas:
Stimmt. Diktatoren müssen sich gar nicht darum scheren, was andere Leute von ihnen halten. 
 
Fra(n)g:
Sind Putin und Xi dann nicht einmal richtig harte Hunde? 
Sie legen doch Wert auf ihr Image.
 
ANTreas:
Wer halbnackt durch die Tundra reitet oder sich im hohen Alter die Haare pechschwarz färbt, ist sich seiner natürlichen Männlichkeit offensichtlich nicht ganz sicher.
 
Fra(n)g:
Sicher leidet Herr Putin darunter, dass er keine Haare auf der Brust hat, während Macron unterm weißen Hemd aussieht wie ein Bär.
 
ANTreas:
Ich befürchte, es wird sich keiner finden, der ihn danach fragt. 
 
Fra(n)g:
Macht nichts. Die Antwort wäre eh gelogen.
Wobei man bei einem Thema wie Brustbehaarung ruhig schummeln kann.
 
ANTreas:
Was moralisch zu diskutieren wäre. 
Aber es gibt in der Tat ein Recht auf Lüge.
 
Fra(n)g:
Jetzt wollen sie mir einen Bären aufbinden. 
 
ANTreas:
Nein. 
Im Arbeits- und im Mietrecht ist festgelegt, dass man auf manche Fragen nicht mit der Wahrheit antworten muss. 
 
Fra(n)g:
Ist Lügen denn ansonsten verboten?
 
ANTreas:
So richtig nicht. 
Wenn man falsche Angaben für einen Vertrag macht, kann der allerdings annulliert werden. 
 
Fra(n)g:
Das heißt, mit chronischen Lügnern braucht man erst gar keinen Vertrag zu schließen? 
 
ANTreas:
Womit wir wieder bei den Herren Xi und Putin und ihren Artgenossen wären.
 
Fra(n)g:
Was sollen wir nur mit denen machen?
<überlegt>
Spott und Hohn wird in der Politik doch auch gern genommen.
 
ANTreas:
Ich befürchte, die Herren sind ein bisschen zu gut bewaffnet, als dass man sich gefahrlos über sie lustig machen kann. 
 
Fra(n)g:
Schade. Ich hatte mir schon so schön vorgestellt, wie Herr Putin zum G20-Gipfel nach Bali reist und dann ist keiner da. 
 
ANTreas:
Das wird nicht gehen. Er darf ja nicht mal hinreisen. 
Aber man könnte ihn zuschalten und dann sitzen die anderen mit Handtüchern bekleidet in der Sauna. 
 
Fra(n)g:
Das fänd er widerlich, hat er gesagt. Schon ohne Schwitzen.
 
ANTreas:
Aber so richtig effektives Ärgern wäre das nicht. 
Er könnte es hinterher für seine Zwecke nutzen.
 
Fra(n)g:
Ich glaube, wir brauchen Herrn Xi in der Sauna. 
 
ANTreas:
Das hätte mehr Effekt. Aber ist wohl illusorisch.
<denkt nach> 
Wahrscheinlich darf man mit gewalttätigen Männern einfach nicht mehr reden. 
 
Fra(n)g:
Die Welt würde ein sehr ruhiger Ort.
 
ANTreas: 
Ich meinte diktatorische Gewalt.
 
Fra(n)g:
Bei denen soll man die beleidigte Leberwurst geben?
 
ANTreas:
Oder Foie Gras insulté im Fall von Herrn Macron. 
 
Fra(n)g:
Pissed off liver pie für den struwweligen Boris.
 
ANTreas:
Klingt alles gut. 
 
Fra(n)g:
Aber würde ihn das davon abhalten, Krieg zu führen? 

ANTreas:
Wohl kaum.

Fra(n)g:
Wie wäre es mit zurücklügen?
 
ANTreas:
Eine verlockende Möglichkeit. 
Man könnte zu Putin sagen, du kriegst die Ostukraine in fünf Jahren. 
Vorher müssen deine Soldaten aber alle raus. 
 
Fra(n)g:
Der Trick erscheint mir ein bisschen zu schlicht.
 
ANTreas:
Vielleicht müssten Scholz, Biden & Co professionelle Lügner anstellen. 
 
Fra(n)g:
Als die europäische Weltlage noch friedlicher war, hätte man gescherzt, dass sie das wahrscheinlich schon getan haben. 
 
ANTreas:
Ach, damals… 
 
Fra(n)g:
Wie schön war es, als wir uns noch darüber ärgern konnten, wenn unsere eigenen Leute uns angelogen haben! Als wir uns noch moralisch entrüsten konnten, ohne dass es gleich um Leben und Tod ging…
 
ANTreas:
Ich gebe Ihnen recht. 
Aber wir mussten leider lernen, dass auch Lügen relativ ist.

21.06.2022

KNIPSWUT


Olaf Scholz ist schon jetzt in die Geschichte eingegangen. 
Als Keinfotokanzler.

 

„Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen“, hat er irgendwann gesagt. Der Satz hat es zu einem der meistzitierten seiner bisherigen Amtszeit gebracht.

 

„Warum das denn nicht?“, werden sich Millionen junger Menschen überall auf der Welt gefragt haben, für die das Smartphone und seine Fotos längst zum Lebensinhalt geworden sind. 

„Warum sonst sollte man irgendwo hinfahren?“

 

Fra(n)g:
Weshalb knipsen die Leute heutzutage, als ob es kein Morgen gäbe?
 
ANTreas:
Sie knipsen, weil es ein Morgen gibt.
 
Fra(n)g:
Ein Widerspruch im ersten Satz. Das haben wir selten.
 
ANTreas:
Die Leute wollen sich auch in ein paar Wochen und Jahren noch erinnern können. Deswegen machen sie Bilder.
 
Fra(n)g:
Fürs Erinnern ist doch eigentlich das Hirn zuständig, nicht das Handy.
Funktioniert das bei Vielfotografierern nicht mehr so gut?
 
ANTreas:
Fotos sollen lediglich Erinnerungsstützen sein.
 
Fra(n)g:
So was wie Eselsbrücken? Die hat man ja schon früher benutzt, wenn man zu doof war, sich was zu merken.
 Wer nämlich mit h schreibt ist dämlich.
Oder
Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten.

ANTreas:
Der Vater erklärt jetzt übrigens nur noch unseren Nachthimmel. Pluto  darf sich ja nicht mehr Planet nennen.

Fra(n)g:
Nicht mal auf alte Eselsbrücken ist mehr Verlass.
Wie soll man sich dann mithilfe getunter Fotos erinnern?

ANTreas:
Warum sprechen Sie von Tuning?

Fra(n)g:
Haben Sie schon mal jemanden gesehen, der Fotos machen will, die einfach nur die banale Wirklichkeit abbilden?
Ich gehe Brot kaufen ist ein so spektakulär seltener Bildinhalt, dass sie es damit vermutlich bis zur documenta schaffen würden.

ANTreas:
Mit vielen Worten versuchen Sie zu sagen, dass eine Aufnahme dem eigenen Leben einen Mehrwert zuschanzen soll.

Fra(n)g:
So wie sie es formulieren, muss man auf jedes Foto 19 Prozent Steuern zahlen.

ANTreas:
Das wäre ja noch schöner!

Fra(n)g:
Immerhin würden die Leute bei Konzerten dann mal wieder auf die Bühne statt auf den Handybildschirm glotzen.
Umsonst zu sein, ist nämlich (ohne h – diese Brücke steht noch) sicher ein Grund fürs Dauerknipsen.

ANTreas:
Als man noch Filme brauchte, war eine Aufnahme tatsächlich besonderer.
In diesem Zusammenhang fragt man sich, ob junge Leute die fotografische Bedeutung des Worts Entwickeln überhaupt noch kennen?

Fra(n)g:
Warum fragt man sich das? Kennen alle Alten das Wort Selfie? Wissen sie, wo man was postet?

ANTreas:
<scherzt>
Im Fotoalbum.

Fra(n)g:
Oder auf der Leinwand vorm Diaprojektor.

ANTreas:
Ach damals…

Fra(n)g:
Wenn wir so weitermachen mit Krieg und nationalistischem Quergedenke, sind wir bald wieder bei damals.

ANTreas:
Bleiben Sie zuversichtlich, sagt der Mann von den Tagesthemen doch immer, wenn all die schlimmen Bilder vorbei sind.

Fra(n)g:
Schrecklich sehen wir nicht so gerne, das stimmt.
Aber auf den Fotos, die wir glücklicherweise Kriegsverschonten machen, sind wir fast zu zuversichtlich.

ANTreas:
Das verstehe ich nicht.

Fra(n)g:
Wir selbst scheinen attraktiver als wir sind, unsere Umgebung reizvoller und andere Leute besser gelaunt.

ANTreas:
Es geht doch nur darum, die schönsten Momente zu erwischen.

Fra(n)g:
Oder uns nicht dabei erwischen zu lassen, dass wir ein Durchschnittsleben führen.

ANTreas:
Wahrscheinlich entstehen viele Aufnahmen wirklich, um sie anderen wie Möhren vor den Nasen rumbaumeln zu lassen.

Fra(n)g:
Guckt mal, wie geil es bei mir ist.
Ach, bei euch nicht?
Ihr Armen! Ist sicher nicht so schlimm.
Tschüssi

ANTreas:
So ähnlich könnte das funktionieren
 
Fra(n)g:
Vorausgesetzt die anderen sind Esel.
 
ANTreas:
Heute haben Sie es aber mit diesen Tieren…
Vorhin die Brücken und warum nun?
 
Fra(n)g:
Weil das Karottenprinzip auf dem Bild basiert, dass man einem Esel eine unerreichbare Möhre vor die Nase hält. 
 
ANTreas:
Da sehen Sie mal, wie stark Bilder wirken. 
 
Fra(n)g:
Ja ja, das sagt man so leicht. 
Aber wenn es andersrum passt, spricht man aber auch gerne von der Macht der Worte.
 
ANTreas:
Ich befürchte, diese Kraft meinte Olaf Scholz auch nicht, als er sich gegen Nur-für-ein-Foto aussprach. 
 
Fra(n)g:
Nee, der meinte, dass Fotos nur zum Highlight werden, wenn man sonst nichts zu bieten hat. 
 
ANTreas:
Was die Antwort auf Ihre Eingangsfrage sein könnte. 
 
Fra(n)g:
Da sind Sie aber mal wieder gemein.
 
ANTreas:
Aber es ist so ein schöner Schluss!
 
<Beide fotografieren sich gegenseitig und ziehen sich zurück>

08.06.2022

DER KLÜGERE GIBT VIELLEICHT AUF

In Kriegszeiten sind weiße Fahnen unpopulär, denkt sich Boris Johnson. Auch wenn ihm knapp die Hälfte seiner Freunde abhandengekommen ist, will er nicht aufgeben. Lieber ist er stolz darauf, den Rest noch zu haben. Oder seine Gegner. Wer weiß das schon so genau?

 Mr. Johnson verbaut sich damit die Chance, etwas Neues anzufangen. Werbekopf für Haarpflegeprodukte zu werden, zum Beispiel. Oder Resilienz-Coach. Oder… 

(Was kann der Mann eigentlich, fragt man sich, während man über mögliche Beschäftigungen nachdenkt.

Einen Plan nicht weiterzuverfolgen, kann in vielen Fällen eine schlaue Alternative zum Scheitern sein. Auch wenn Kalendersprüche beharrlich etwas anderes behaupten: 


Wenn du aufgeben willst, denk darüber nach, warum du angefangen hast.

Oder

Nur wer aufgibt, hat verloren. Der Mutige wird neu geboren. 


Und dann ist da auch noch der kleine Frosch, der den Storch würgt, der ihn schon halb verschlungen hat.  Never ever give up!  
So hängt es  als humorgewordene Anklage an die Chefs sogar in Tausenden ihrer Vorzimmer.   

 

Was lernen wir daraus? Ganz sicher, dass die Handlungsmöglichkeit Aufgeben ein gewaltiges Imageproblem hat!

 

Fra(n)g:
Warum sträuben sich nicht nur Minister, sondern die komplette Allgemeinheit dagegen, einen Plan auch mal fallenzulassen?
 
ANTreas:
Weil niemand gern verliert.
 
Fra(n)g:
Ich rede nicht vom Schachspielen.
 
ANTreas:
Sondern?
 
Fra(n)g:
Von einem Plan, einem Vorhaben, einem Karrierestand.
 
ANTreas:
Ein Ziel leichtfertig fallenzulassen, geschieht doch meist aus Feigheit. Oder aus Opportunismus, weil für den Rückzug eine Belohnung winkt.
 
Fra(n)g:
Der Klügere gibt nach.
Das könnte es auch sein.
 
ANTreas:
Er gibt nach. Aber nicht auf.
 
Fra(n)g:
Das ist eng verwandt.
Der Klügere kann auch aufgeben.
 
ANTreas:
Vorsicht! Wenn die Schlauen immer nach- oder aufgeben, passiert nur noch, was die Dummen wollen.
 
Fra(n)g:
Das wäre ein Problem.
 
ANTreas:
<nickt>
 
Fra(n)g:
Aber der Spruch mit dem Klügeren will den Schritt zurück vielleicht einfach nur cooler machen.
 
ANTreas:
Bewirkt hat er bislang wenig.
Wir sind eine Vorwärts-Gesellschaft.
 
Fra(n)g:
Aber man darf doch ruhig mal fragen, ob das der beste Weg ist.
Ich finde, man sollte in jedem Fall durchspielen, wie es wäre, eine Sache nicht weiterzuverfolgen.
 
ANTreas:
Nicht weiterverfolgen klingt nicht so schlimm wie aufgeben.
Den Ansatz finde ich gut.
 
Fra(n)g:
Ohje, geben Sie es jetzt auf, mir zu widersprechen?
 
ANTreas:
Das wäre Ihr Ende.
 
Fra(n)g:
Ihres auch.
 
ANTreas:
So, damit haben wir es kurz durchgespielt und uns dagegen entschieden.
 
Fra(n)g:
Vorbildlich.
Hat das nach dem Überfall auf die Ukraine eigentlich jemand gemacht?
 
ANTreas:
In diesem Zusammenhang ist es nicht gerade populär, übers Aufgeben nachzudenken.
 
Fra(n)g:
Warum nicht?
 
ANTreas:
„Kapitulation geht gar nicht“, finden die meisten.
„Man kann doch nicht…“, sagen auch die, die das Wörtchen man sonst vermeiden. 
Und dass Putin dann immer weitermachen wird. 
 
Fra(n)g:
Woher wissen die Leute das?
 
ANTreas:
Sie wussten ja auch, dass er die Ukraine überfallen wird.
 
Fra(n)g:
Sie machen Witze.
 
ANTreas:
Leider ja.
 
Fra(n)g:
Vielleicht sollte man das Zurückschießen beenden und nur noch mit Sanktionen und so was kämpfen. 
 
ANTreas:
Ein Weg, der wahrscheinlich nicht bis ins letzte Detail durchgesprochen wird. Man macht, was man seit tausenden von Jahren macht, man verteidigt sich militärisch.
Immer das Gleiche, obwohl es ansonsten im Trend liegt, disruptiv zu denken. In den Büros soll alles anders gemacht werden. Out of the box denken und so ein Kram.  
Da könnte einem auch mal was anderes als Reaktion auf einen Überfall einfallen, als militärisch zurückzuschlagen.
 
Fra(n)g:
Was denn?
 
ANTreas:
Woher soll ich das wissen? Ich habe ja auch keine Ahnung, wie Krieg geht. 
Aber Konfliktforscher, Geheimdienstler, Politiker, Psychologen, Intellektuelle und solche Leute hätten sich das vielleicht schon längst überlegen können. 
 
Fra(n)g:
Vielleicht haben sie das. Und es ist ihnen nichts eingefallen. 
Ist ja eine schwierige Frage. 
 
ANTreas:
Das stimmt.
 
Fra(n)g:
Vielleicht darf man nur aufgeben, wenn es keine einzige Alternative mehr gibt?
 
ANTreas:
Wie kommen Sie darauf?
 
Fra(n)g:
Wegen Zverev.
 
ANTreas:
Sie meinen, wer nicht mehr auftreten kann, muss auch nicht mehr Tennis spielen. 
 
Fra(n)g:
Die Frage ist doch, ab wann man nicht mehr auftreten, gewinnen oder regieren kann. 
 
ANTreas:
Den besten Punkt für eine Aufgabe, eine Kapitulation oder einen Rücktritt zu definieren, wird schwierig sein. 
 
Fra(n)g:
Muss man denn immer den genauen Punkt treffen?
 
ANTreas:
Wahrscheinlich schon. 
Wer zu früh aufgibt, nutzt nicht jede Chance. 
 
Fra(n)g:
Und was ist mit denen, die zu spät die weiße Fahne hissen?
 
ANTreas:
Die leiden zu lange und verursachen zu viel Leid. 
 
Fra(n)g:
Dann sollte man lieber etwas zu früh als zu spät aufhören und sich einen neuen Weg suchen. 
 
ANTreas:
Dem würde so mancher Kämpfer widersprechen.
 
Fra(n)g:
Mag sein, aber dem geht es wahrscheinlich in erster Linie ums Kämpfen. 
 
ANTreas:
Es klingt ein bisschen, als ob Sie dagegen sind, Pläne und Träume zu verwirklichen und Ziele zu erreichen. 
 
Fra(n)g:
Das wiederum klingt zu drastisch. 
Ich plädiere lediglich dafür, den Stopp eines Vorhabens als eine Möglichkeit zu betrachten, die unter Umständen die passendste ist. 
Und für die man sich nicht schämen muss. 
 
ANTreas:
Scham ist ein interessanter Begriff. 
 
Fra(n)g:
Ist mir so rausgerutscht. Aber aufzugeben hat halt nichts Heldenhaftes. 
Auch wenn es manchmal mehr Mut erfordert als weiterzumachen. 
 
ANTreas:
Wann soll das sein?
 
Fra(n)g:
Sagen wir mal, man will einen Marathon laufen, hatte aber wenig Zeit zu üben und gibt am Ende bei Kilometer 35 auf. 
Ich schwöre Ihnen, dass die Kilometer 30 bis 35 dann auch schon nicht mehr schön waren. Weder für den Läufer noch fürs Publikum. Und die fünf davor hätte man sich wahrscheinlich auch schenken können. 
 
ANTreas:
Aber wenn man die 42 Kilometer geschafft hätte, hätte man sich wie ein Held gefühlt. 
 
Fra(n)g: 
Falls man noch zu irgendeinem Gefühl in der Lage gewesen wäre. 
Wie ein Held kann man sich doch nur fühlen, wenn man die ganze Strecke lächelnd schafft. 
Oder wenn man so schlau und selbstsicher war, früh genug aufzuhören.
 
ANTreas:
Sie finden also, dass der Preis, den man fürs Durchhalten bezahlt, sehr oder sogar zu hoch sein kann. 
 
Fra(n)g:
Nicht nur für einen selbst. 
Auch fürs Publikum, für Freunde und Familie, für Mitbürger oder für die halbe Weltbevölkerung. 
Das mag sich übrigens auch mancher denken, der bis hierhin gelesen hat. Man liest und liest, aber eine klare Antwort gibt es keine.
 
ANTreas:
Mist. Ich habe versagt. 
<zieht sich peinlich berührt in seine Gehirnhälfte zurück>
 
Fra(n)g:
Sie müssen sich nicht schämen! Man weiß ja auch nie, ob wir in drei Minuten nicht doch eine Lösung gefunden und die Welt gerettet hätten...
Und übrigens: Have a nice time, Mr. prime minister. 
<winkt in Richtung London und verschwindet ebenfalls>

25.05.2022

VOM FEIERN, FAHREN UND VATERSEIN

Ob ich wisse, was neununddreißig Tage nach Ostern stattfindet, fragte mich neulich jemand. 

Ich tippte auf irgendeine Kirmes. Falsch. Eine Party? Auch falsch - obwohl, eine Feier sei es schon. Ein Feiertag! Christi Himmelfahrt!  


Der Name beschreibt, was wir da zelebrieren sollen. Wobei die Reisetätigkeit wohl eher metaphorisch gemeint ist. Kein 9-Euro-Ticket. 

Aber wenn wir ehrlich sind, ist uns das sowieso egal. 


Immerhin wusste ich aber, dass das Ganze immer donnerstags stattfindet und den Werktätigen somit nie durch die Lappen gehen kann. Yippie. 

Andererseits sind die Geschäfte zu. Wer jetzt keine Milch hat, wird schwarzen Kaffee trinken müssen. 

 

Fra(n)g:
Sind Feiertage Tage, die man feiert oder an denen man feiert?
 
ANTreas:
Das ist doch das Gleiche. 
 
Fra(n)g:
Ist es nicht! Mein Geburtstag zum Beispiel. Da ist der Samstag danach der Tag, an dem ich feiere, aber nicht der, den ich feiere. 
 
ANTreas:
Sie müssen es immer kompliziert machen.
 
Fra(n)g:
Ich will mich auf meiner eigenen Geburtstagsfeier schließlich ordentlich betrinken können. 
 
ANTreas:
Das möchte ich gar nicht so genau wissen. 
Feiertage sind nach Ihrer Definition dann also Tage, die man feiert. 
 
Fra(n)g:
Also soll ich ein Fest machen, weil Jesus zu seinem Vater, der bekanntlich als Gott arbeitet, gereist ist?
Ehrlich gesagt ist das für mich wie auf eine Silvesterparty des Tennisvereins zu gehen, in dem man kein Mitglied ist. 
 
ANTreas:
Laut Grundgesetz dienen Feiertage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. 
Vielleicht versuchen Sie es mal mit Letzterem. 
 
Fra(n)g:
Wie geht das denn?
 
ANTreas:
Das weiß ich jetzt bei Christi Himmelfahrt auch nicht so genau. 
Aber Weihnachten, da feiert man Christi Geburt und guckt in der Kirche das Krippenspiel an. 
 
Fra(n)g:
Das Drama des talentfreien Kindes… 
Mein Gefühl würde mich allerdings arg täuschen, wenn die Papas, die Weihnachten noch feuchte Augen gekriegt haben, an Himmelfahrt schon wieder beim Gottesdienst säßen. 
Die laufen doch auf Feldwegen Schlangenlinien. 
 
ANTreas:
An Himmelfahrt findet halt auch noch Vatertag statt. 
 
Fra(n)g:
Da haben halt alle Zeit. 
 
ANTreas:
Angeblich kommt die Tradition aus Amerika. Die wollten einen Helikopter-Vater ehren.
In Europa pushten den Tag dann Zigarren- und Hemdenfabrikanten, die es reizvoll fanden, die Geschenke liefern zu können, mit denen die Erzeuger geehrt und bedacht wurden. 
 
Fra(n)g:
Voll der Kommerz. 
Ich hätte gedacht, es hat damit zu tun, dass Jesus wie Superman zu seinem alten Herrn gereist ist. Oder wie Buzz Lightyear. 
 
ANTreas:
Bedenken Sie Ihre Wortwahl. 
 
Fra(n)g:
Die Herleitung funktioniert eh nicht, denn dann müssten die Papileins ja zuhause bleiben und auf die Familie warten. 
 
ANTreas:
Diese Art des Feierns bleibt eher den Müttern vorbehalten. Da geht man davon aus, dass es für sie das Größte ist, ihren Tag mit der Familie zu verbringen.
 
Fra(n)g:
Das ist dann wohl die weibliche Form der seelischen Erhebung. 
Papa hingegen kriegt einen Tag familienfrei und säuft mit den Kumpels. 
 
ANTreas:
Immerhin sind die Herren mal an der frischen Luft, unterwegs in Wald und Flur.
 
Fra(n)g:
Oder am Ballermann. Die Sonne knallt, das Bier noch mehr… 
Ich will ja nicht spießig wirken, aber von Himmelfahrt ist das meilenweit entfernt. 
Wir könnten ja zumindest die ISS beobachten. Oder die Sterne. 
Oder missliebige Kollegen von der Klippe stürzen, wenn sie danach eh wieder nach oben düsen. 
 
ANTreas:
Und Sie rasen gerade mit ihrem Humorniveau zu den Katakomben unterhalb des Ballermanns, falls es die gibt. 
 
Fra(n)g:
Sie wollen damit sagen, dass man Himmelfahrt an den Ort fährt, den man für den Himmel auf Erden hält?
 
ANTreas:
Nein, das meinte ich nicht. Ganz bestimmt nicht.
Sie vermischen die Dinge ungerechtfertigterweise. 
Der Feiertag Himmelfahrt ist christlich und hat mit Vorstellungen vom ewigen Leben zu tun. 
Dass er im Namen von Herrengeschenkherstellern und Brauereien zweckentfremdet wird und Väter zum Reißaus vor ihren Familien animiert, ist ein Nebeneffekt.
 
Fra(n)g:
Vermutlich hätten man für das, was Sie Nebeneffekt nennen, beim Gesetzgeber keinen eigenen Feiertag durchgekriegt. 
 
ANTreas:
Garantiert nicht.
 
Fra(n)g:
Aber liegt das Bollerwagen-Gedöns nicht auch daran, dass die Leute keine Ahnung hatten, was sie an sonst an Himmelfahrt hätten feiern sollen? 
Die haben sich halt einfach einen neuen Sinn gesucht. 
 
ANTreas:
Vor diesem Hintergrund müsste man den Feiertag abschaffen. 
 
Fra(n)g:
Vorsicht! 
 
ANTreas:
Es gab 2013 sogar eine Petition im Internet dafür.
 
Fra(n)g:
Ich wette, wahnsinnig viele Leute haben dafür gestimmt, einen Tag mehr zu arbeiten. 
 
ANTreas:
Genau sieben. 
 
Fra(n)g:
Bei Schneewittchen waren es auch nicht mehr. Die hat ebenfalls überlebt. 
 
ANTreas:
Da waren es sieben Retter, bei Himmelfahrt sieben Killer. Das ist ein Unterschied. 
 
Fra(n)g:
Auf jeden Fall gehen wir davon aus, dass Himmelfahrt bleibt. 
Und vielleicht ist ein Feiertag ja doch mehr ein Tag, an dem man feiert. 
 
ANTreas:
Allerdings müssen manche Leute arbeiten. 
 
Fra(n)g:
Können wir das eine sehr besondere Form der seelischen Erhebung nennen?
 
ANTreas:
Wer weiß. Die Wege des Herrn sind unergründlich.
 
Fra(n)g:
Die der Herren mit Bollerwagen ebenfalls.

11.05.2022

DAFÜR 44.000.000.000?


Daniel Günther, Robert Habeck, Olaf Scholz. Betrachtet man derzeit gültige starke Männer in den Parteien stößt man auf eher freundliche Zeitgenossen. 

Golden Retriever haben das Sagen. Nicht mehr Bulldoggen oder Terrier. 

Und weil auch viele junge Männer eher angenehm als testosterongesteuert auftreten, darf man hoffen, dass die RETRIEVERSIERUNG DER GESELLSCHAFT sich zu einem anhaltenden Trend entwickelt. 

 

Auf Twitter erklären einem alte, weiße Männer jeglichen Alters, wie die Welt funktioniert. Mit Nachdruck. Denn das wissen diese Dobermänner und Rottweiler ganz genau! 
So gesehen ist Twitter altmodisch. Erst ein paar Jahre alt und schon out of date. 
"Hallo, Herr Musk", möchte man rufen, "nur für den Fall, dass Sie es nicht bemerkt haben: Sexy ist der Laden nicht!"

 

Fra(n)g:
Warum gibt der Musk so viel Geld für Twitter aus?
 
ANTreas:
Weil er auf dem Sparbuch keine Zinsen kriegt.
 
Fra(n)g:
Aber er zahlt ja mit Tesla. 
Und muss sich Geld bei der Bank leihen.
 
ANTreas:
Dann vielleicht, weil er selbst ein Twitter-Star werden will.
 
Fra(n)g:
Ist er schon. Unter den Top 10 der Follower-Könige.
 
ANTreas:
Oder weil er damit reich werden will.
 
Fra(n)g:
Wird er schon, indem er durch seine Tweets Börsen- und Bitcoin-Werte manipuliert. 
 
ANTreas:
Und was ist mit Gewinnen aus dem Geschäft?
 
Fra(n)g:
Sind alles andere als riesig. 
 
ANTreas: 
Vielleicht will er einfach nur Leuten, die ihn gut finden, etwas sagen und seine Ansichten zu Themen, die ihm wichtig erscheinen, kundtun. 
 
Fra(n)g:
Macht er schon. 
 
ANTreas:
Ich hab’s: Er will sicherstellen, dass er nicht eines Tages gesperrt wird. So wie Trump.
 
Fra(n)g:
Da könnte was dran sein. 
Er will ja sogar Herrn Trump wieder entsperren. 
 
ANTreas:
Das gehört zu seiner Ankündigung, die Rede- und Meinungsfreiheit freier machen. 
 
Fra(n)g:
Für Politiker, Parteien, Firmen, Privatpersonen, Organisationen. 
Und für sich.
 
ANTreas:
Genau. Jeder soll flüstern, säuseln, sprechen und krakeelen dürfen, was er will. 
Ohne Rücksicht auf Wahrheitsgehalt, Gesetzestreue und so einschränkenden Kram.  
 
Fra(n)g:
Regeln des fairen Miteinanders zu verletzen, ist das beste Marketing für die Plattform. Das weiß natürlich auch Herr Musk. Immerhin haben Krakeeler Twitter erst richtig berühmt gemacht.
 
ANTreas:
In erster Linie ein einziger Brüller und der heißt Trump. 
Dessen Tweets haben es in alle Medien geschafft.
 
Fra(n)g:
Ständig und immer. 
Da fällt mir auf, dass die von Herrn Biden in der Tagesschau nie vorgelesen werden. 
 
                         ANTreas:                    
Biden sagt auf Twitter halt nur, was er so den ganzen Tag als Präsident macht. 
 
Fra(n)g:
Das Online-Tagebuch eines gemäßigten US-Präsidenten – da fehlt es an Unterhaltung und Erregungspotenzial. 
 
ANTreas:
Würde man vermuten.
Der erfolgreichste Tweet aller Zeiten war allerdings kein Knaller, sondern eine Todesanzeige. Die von Chadwick Boseman. 
 
Fra(n)g:
Die meisten Follower hat Obama. Dahinter kommen Musiker wie Justin Bieber und Rihanna und so Leute. 
 
ANTreas:
In Deutschland haben acht der zehn erfolgreichsten Accounts mit Fußball zu tun. 
 
Fra(n)g:
Dann arbeiten Lady Gaga, Katy Perry, Mesut Özil, Manuel Neuer und der BVB demnächst ja alle bei Herrn Musk!
Vielleicht will er den Laden haben, damit er Prominente zum Mitarbeiter des Monats küren kann. 
 
ANTreas:
Aber die könnten sich ja überlegen hinzuschmeißen. 
So dringend brauchen die ja keinen Zweitjob. 
 
Fra(n)g:
Nee, aber die wollen Marketing. Reklame für die eigenen Produkte. Darum geht’s in erster Linie. 
 
ANTreas:
In der öffentlichen Wahrnehmung steht aber das Krakeelen im Vordergrund.  
 
Fra(n)g:
Gibt es so etwas wie eine Über-Wahrnehmung des unflätigen Schimpfens und Lügens?
 
ANTreas:
Eindeutig. Dank Trump.
Und dank vieler privater Nutzer, deren Meinung höchstens ihr direktes Umfeld interessiert. 
 
Fra(n)g:
Die labern bei Twitter statt am Stammtisch. 
 
ANTreas:
Nicht ganz. Die wollen keinen Gegenwind.
Ein Tweet ist in sich widerspruchsfrei.
 
Fra(n)g:
Es fehlt die direkte Reaktion ?
 
ANTreas:
Genau. Man kriegt kein wütendes Bier ins Gesicht. 
Keiner nickt oder korrigiert durch Kopfschütteln. 
Niemand zeigt einem einen Vogel. 
 
Fra(n)g:
Dann ist ein Tweet abzusetzen wie allein am Stammtisch zu sitzen und vor sich hinzubrabbeln? 
 
ANTreas:
Im Grunde genommen handelt es sich bei Twitter-Unterhaltungen um eine Sammlung von Selbstgesprächen. 
 
Fra(n)g:
Das klingt traurig. 
 
ANTreas:
Man kann schlecht behaupten, dass viele Twitter-Nutzer keine echten Freunde haben. 
Aber im realen Leben würde man sich über solche Leute wundern. 
 
Fra(n)g:
Dann hat Herr Musk jetzt einen Haufen Verhaltensauffälliger am Hals? Und das für so viel Geld?
 
ANTreas:
Ich würde eher von Leuten mit einem merkwürdigen Hobby reden. 
 
Fra(n)g:
Vielleicht wollte er sich aber auch einen Haufen Komiker leisten, seine eigenen Hofnarren. 
 
ANTreas:
Ja, lustig wollen da viele sein. Das steigert die Popularität und bringt Follower. 
 
Fra(n)g:
Leider ist Twitter-Humor, wenn man trotzdem nicht lacht. 
Zumindest oft.
 
ANTreas:
Sie meinen also, die Witzbolde sind das viele Geld auch nicht wert.
 
Fra(n)g:
Natürlich nicht. 
 
ANTreas:
Dann die Damen in Spitzenschlüpfern. 
 
Fra(n)g:
Die gibt es auf Twitter auch?
 
ANTreas:
Die gibt es überall, wo man ein Bild hochlanden kann. 
 
Fra(n)g:
<schüttelt den Kopf>
Mann kann es drehen und wenden, wie man will. Anscheinend hat Herr Musk das viele Geld ausgegeben, damit Obama mehr Bücher und Taylor Swift mehr Alben verkaufen. 
Und damit Politiker keine Pressemitteilungen mehr verschicken und weniger Interviews geben müssen.
 
ANTreas:
So wird er selbst das nicht sehen. 
 
Fra(n)g:
Aber es erinnert alles an das bunte Hemd, das man sich im Urlaub kauft und hinterher nie wieder anzieht.
 
ANTreas:
Vielleicht interessiert ihn Twitter in zwei, drei Jahren nicht mehr, das könnte sein. 
 
Fra(n)g:
Dann könnte er es gebraucht weiterverkaufen. 
 
ANTreas:
Wohl kaum. Es geht ihm doch um das Meinungsmedium.
Wenn man sieht, was trendet, dann weiß man, worüber die Leute reden. 
 
Fra(n)g:
Nee, man weiß, worüber auf Twitter geredet wird. Das ist etwas anderes. 
Zurzeit steht zum Beispiel Sylt hoch im Kurs.
 
ANTreas:
Wieso?
 
Fra(n)g:
Da sind wir wieder bei den Komikern. 
Die Twitter-Gemeinde macht sich darüber lustig, dass man mit dem 9-Euro-Ticket günstig auf die Insel kommt, was dem Image als Insel der Reichen widerspricht.
 
ANTreas:
Jetzt verstehe ich, was sie mit “wenn man trotzdem nicht lacht” meinen.
<überlegt>
Wahrscheinlich geht es Herrn Musk in Sachen Meinungsmedium doch um Debatten und Diskussionen. 
 
Fra(n)g:
Aber eine Debatte hat eine Dramaturgie, einen demokratischen Schlusspunkt. Am Ende steht ein Kompromiss, eine Abstimmung oder zumindest eine zusammenfassende Einordnung. 
 
ANTreas:
Und sie ist Kommunikation. Mit Sender und Empfänger. Und mit mehr als 280 Zeichen.
 
Fra(n)g:
<hat einen Geistesblitz>
Und was ist, wenn Elon Musk genau das nicht will?
 
ANTreas:
Sie meinen, er hat den Laden gekauft, damit es weniger Debatten gibt und mehr einseitige Verkündungen? 
<hält inne>
Das wäre, wie soll man sagen, unschön.
 
Fra(n)g:
Der will bestimmt die Art unseres Zusammenlebens verändern! 
 
ANTreas:
Alles unter dem wäre ja auch kaum 44.000.000.000 Dollar wert.
 
Fra(n)g:
So ein Hund! 
Was machen wir denn jetzt dagegen?
 
ANTreas:
Wir gehen davon aus, dass ihm das mit den paar Twitter-Nutzern nicht gelingen wird. 
Und bleiben entspannt.
<überlegt>
Und wir antworten im Stil eines Tweets.
 
Fra(n)g:
Wie soll das gehen?
 
ANTreas:
Halten Sie sich mal die Ohren zu.
 
Fra(n)g:
<verschließt seine Ohren>
 
ANTreas:
Du blöde Sau, Musk, verschone uns mit deinen fucking Weltraumausflügen, deinem selbstgefälligen Geschwätz und deiner misslungenen Visage. 
<gerät ins Stocken>
 
Fra(n)g:
Und?
 
ANTreas:
Macht keinen Spaß, dieses Twitter. 
Ist eher was für Werbende. 
<überlegt>
Und für Männer mit kurzen Penissen. 
<lacht>
 
Fra(n)g:
<erstarrt>
 

26.04.2022

ANTIEXTREM


Bei der Tagesschau am Sonntagabend ist mir ein französischer Stein vom Herzen gefallen. 

Plümps!

Die Franzosen und damit auch wir als Miteuropäer sind den Rechten noch einmal von der Schippe gesprungen. Damit ist die Frage, ob die Rassistin Madame Le Pen nun rechtsradikal, rechtsextrem, rechtspopulistisch oder einfach nur rechts sei, weniger dringlich geworden. 

Monsieur Macron hingegen wird nach wie vor mit dem Adjektiv liberal versehen. So wie bei uns die FDP.

Übertragen auf hiesige Verhältnisse konnten die Franzosen also zwischen Herrn Lindner und Frau Weidel wählen. Je suis désolé, es schaudert mich. 

Nach seinem Sieg hielt Herr Macron eine Rede, in der er sein Projekt, das ja keine Partei sein will, als humanistisch, republikanisch, sozial und ökologisch bezeichnete. Alles auf einmal.

Ich weiß nicht, was eierlegende Wollmilchsau auf Französisch heißt. Aber dass sie ein Fabelwesen ist, das ist mir klar. 

 
Fra(n)g:
Was bin ich eigentlich selbst, wenn andere so viel auf einmal sein können?
 
ANTreas:
Robert Lembke hätte erst einmal gefragt, welches Schweinderl Sie denn gern hätten.
 
Fra(n)g:
Aus dieser Antwort schließe ich, dass Sie ein Konservativer sind.
 
ANTreas:
Aus dieser Antwort können Sie höchstens schließen, dass ich alt bin.
 
Fra(n)g:
Und politisch?
 
ANTreas:
Ich bin mir nicht sicher, ob man das so direkt fragen darf.
 
Fra(n)g:
Dann eher allgemein. Bis vor Kurzem reichte es zum Beispiel, grün zu sein. Eine einzige Farbe stand für diverse Grundsätze: Ökologie, Gerechtigkeit, Pazifismus. 
 
ANTreas:
Zumindest Pazifismus ist bei vielen gerade nicht mehr en vogue. 
 
Fra(n)g:
Aber ist es nicht übertrieben, ihn direkt als spleeniges Hobby naiver Bürgerskinder oder als sozialdemokratische Gestrigkeit abzutun?
 
ANTreas:
Auf alle Fälle ist es das. 
Er bleibt eine schöne Utopie – zumindest, wenn beide Seiten Pazifisten sind.
 
Fra(n)g:
Und wenn nicht?
 
ANTreas:
Dann gelten Überzeugungen anscheinend nur noch wenig und der Pragmatismus gewinnt. 
 
Fra(n)g:
Weil es das Wichtigste ist, dass die Anti-Extremisten zusammenhalten? 
 
ANTreas:
Genau. Um sich gegen die Putins, Trumps, Le Pens, Orbans, Weidels und wie sie alle heißen zu wappnen. 
 
Fra(n)g:
Also gibt es zurzeit nur zwei Richtungen: extrem oder antiextrem?
 
ANTreas:
So kann man es leider sagen. 
Und vielleicht wäre das auch ein kleiner Tipp an Herrn Merz. Wenn ich an die Abstimmung denke, mit der eine Impfpflicht ab sechzig eingeführt werden sollte. 
 
Fra(n)g:
Sie meinen, dass man sich mit Verschwörern, Querdenkern und AfDlern gemein macht, wenn man einen Kompromiss ablehnt, der enthält, was man ein paar Wochen vorher noch selbst wollte?
 
ANTreas:
Genau.
 
Fra(n)g:
Ist Herr Merz ein Extremer?
 
ANTreas:
Nein. Aber ein Rechter. 
 
Fra(n)g:
Was ist denn eigentlich ein Rechter?
 
ANTreas:
Ursprünglich wollten die einen König und unterschiedliche Rechte für unterschiedliche Bürger. 
 
Fra(n)g:
Das klingt nach lange her.
 
ANTreas:
Heute geht’s um den Glauben an gesellschaftliche Hierarchien versus dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit und so etwas.
Aber das ist alles ein bisschen Wischiwaschi. 
 
Fra(n)g:
Läuft es auf extrem gegen nichtextrem raus, weil die anderen Unterschiede zu klein, zu schwierig herauszufiltern und damit zu anstrengend geworden sind?
 
ANTreas:
Die große Keule zu schwingen, schindet mehr Eindruck als eine Debatte über den unterschiedlichen Umgang mit Gendersternchen.
 
Fra(n)g:
Ist es für die Antiextremen dann vielleicht ganz hilfreich, dass Putin übergeschnappt ist, weil sie dadurch zeigen können, was die große Keule anrichten kann?
 
ANTreas:
Hilfreich ist in diesem Zusammenhang ein fieses Wort, aber in Frankreich hat genau das geholfen.
Es ist im negativen Sinne eindrucksvoller, wenn ein nationalistischer Extremist Tod und Schrecken über die Welt bringt, als wenn einem kein deutsches Gedicht einfällt, obwohl er mehr deutsche Dichter und Denker in den Schulen fordert.
 
Fra(n)g:
Vielleicht kommen einige Radikale jetzt ins antiextreme Lager. 
 
ANTreas:
Bei Xavier Naidoo soll es so gewesen sein. 
 
Fra(n)g:
Wenn man ihm glauben möchte. 
 
ANTreas: 
Das muss wohl jeder für sich entscheiden. 
 
Fra(n)g:
Was ich mich frage, ist wie man als Nichtextremist mit extremistischen Knallköppen, ihren Äußerungen und Ideen, aber vor allem ihren Taten, wenn sie Macht besitzen, umgehen soll. 
Die treiben einen doch in den Wahnsinn! Oder in den Gegenextremismus.
 
ANTreas:
Vielleicht kann man nur aufmerksam, standhaft und resilient sein.
 
Fra(n)g:
Das klingt abgeklärt. 
 
ANTreas:
Nein, das klingt danach, dass das Lager der Antiextremen nicht schrumpfen darf.
 
Fra(n)g:
Das stimmt natürlich. 
 
ANTreas:
Außerdem muss man auf der Hut sein, weil die Extremen sich gerne als Nichtextreme verkleiden. 
 
Fra(n)g:
Karneval?
 
ANTreas:
Ganzjähriges Stippeföttche. 
 
Fra(n)g:
Kapiere ich nicht.
 
ANTreas:
Die Garden sind als Militärs konstümiert, tanzen aber mit rausgestrecktem Hinterteil Stippeföttche. 
Die Extremen tragen Lächeln und Bürgerlichkeit, aber tanzen Umsturz und Demokratievernichtung. 
 
Fra(n)g:
Die Wahrheit liegt also im Tanz.
<lacht>
Ein merkwürdiges Bild.
 
ANTreas:
Dann sagen wir, sie liegt in dem, was man nicht als erstes sieht. 
 
Fra(n)g:
Verstehe.
Und die Resilienz? 
Die hilft ja seit ein paar Jahren gegen alles. 
 
ANTreas:
Es geht eigentlich nur darum, dass sich Beulen wieder glätten. 
 
Fra(n)g:
Das ist schön einfach erklärt. 
 
ANTreas:
Und darum, dass man sein Verhalten den Verhältnissen anpasst.
 
Fra(n)g:
Auch, wenn es wehtut?
 
ANTreas:
Wer resilient auf den russischen Extremismus reagieren will, muss opferbereit sein. 
Atomkraftgegner müssen Verlängerungen der Laufzeiten in Kauf nehmen, Autofahrer Tempolimits, Verbraucher Einschränkungen ihres Lebensstandards. 
 
Fra(n)g:
<verdreht die Augen>
Da sind wir ja überall ganz vorn dabei.
 
ANTreas:
Die Abkehr von geschichtsbedingten pazifistischen Grundsätzen fällt uns in der Tat leichter als 130 zu fahren.
 
Fra(n)g:
Klingt das in ihren Ohren so furchtbar wie in meinen?
 
ANTreas:
Tut es. 
Aber die militärische Kehrtwendung scheint vielen einfacher als eine Schwächung der deutschen Industrie und des Lebensstandards. 
 
Fra(n)g:
Wird deswegen, wer die plötzliche Waffenhuldigung nicht mitmacht, als führungsschwacher Schlappi beschimpft.
 
ANTreas:
Manche scheinen sich ihrer Schwere-Waffen-Sache sehr sicher zu sein.
 
Fra(n)g:
Könnte man nicht Mittelwege finden, also zum Beispiel deutlich weniger russisches Gas beziehen, aber immer noch ein bisschen, und hart daran arbeiten, diesen Krieg zu beenden, statt ihn zu gewinnen?
 
ANTreas:
Könnte man wahrscheinlich. 
Aber beim Kampf gegen die Extremen werden die Antiextremen extremer. 
 
Fra(n)g:
Das ist vermutlich menschlich.
 
ANTreas:
Aber ob’s auch hilft?
 
Fra(n)g:
<schweigt>
 
<Erstmals in der langen Geschichte ihrer Diskussionen ziehen sich die beiden Windungen nach einer Frage des eigentlichen Klugscheißers ANTreas in ihre Hirnhälften zurück>

 

14.04.2022

"ZEIG MICH!" 


Zurzeit wohnen wir auf Mallorca. 

Das Wetter ist durchwachsen, was einige Touristenkollegen allerdings nicht davon abhält, wenig anzuhaben. Mit zunehmender Nähe zum Ballermann verringert sich der Grad der Verhüllung. Wer braucht für einen Spaziergang bei achtzehn Grad schon ein T-Shirt? 

Das gilt allerdings fast nur für Kraftsportler. Je mehr Fitnessstudio, desto weniger Klamotte. Als ob Riesenpos oder Bizepsberge wärmen würden.  

Anders ist das bei den Ausdauersportlern. Die vielen Radfahrer sind farbenfroh eingehüllt, es lassen sich sogar Joggerinnen mit Mütze sichten. 

 

 Fra(n)g: 
Machen unterschiedliche Sportarten unterschiedliches Temperaturempfinden? 
 
ANTreas: 
Ich würde sagen, sie stehen für unterschiedliche Grade an Exhibitionismus. 
 
Fra(n)g: 
Der Muskulöse zieht sich gerne aus, während Ausdauernde lieber bekleidet sind? 
 
ANTreas: 
Das wäre vor dem Hintergrund unserer Schönheitsideale nachvollziehbar. Man zeigt, was man hat. 
 
Fra(n)g: 
Aber? 
 
ANTreas: 
Man sollte sich an dieser Stelle die Frage nach der Henne und dem Ei stellen. 
 
Fra(n)g: 
Was haben Hühner mit viel oder wenig anhaben zu tun? 
 
ANTreas: 
Nichts. Die Frage ist aber, ob der exhibitionistisch Veranlagte anfängt, Hanteln zu schwingen oder ob man durch Gewichte Stemmen zum Exhi wird. 
 
Fra(n)g: 
Hätte ich Schultern, würde ich mit ihnen zucken.
 
ANTreas: 
Man weiß es nicht. Aber wir können uns sicher darauf einigen, dass Krafttraining mehr als andere Sportarten mit Körperkult zu tun hat. 
 
Fra(n)g: 
Das können wir. 
 
ANTreas: 
Und dass es nachvollziehbar ist, dass man zeigt, was man schönfindet. 
 
Fra(n)g: 
Na ja. Wenn es dabei zum Frieren kalt ist, dann ist es Protzerei. 
 
ANTreas: 
Der Unterschied zwischen ästhetischer Schweißvermeidung und peinlicher Angeberei liegt in ein paar Grad Celsius, da gebe ich ihnen recht. 
Aber vielleicht würde den Gestählten etwas Bescheidenheit, also weniger Haut oder hautenge Schlauchkleider, ganz generell gut zu Gesicht und Körper stehen. 
Cooler sind geile Bodys, die nur zu erahnen sind. 
 
Fra(n)g: 
Sie meinen, man fährt besser, wenn man die Imagination seines Gegenübers mitbedient? 
 
ANTreas: 
Das ist der Grund, warum wir Geschenke verpacken. 
 
Fra(n)g: 
Vielleicht ist Fitness gar kein Sport, sondern gehört eher in die Rubrik Verpackung. Ähnlich wie Klamotten zu kaufen. 
 
ANTreas: 
Oder man zählt es zu den Schönheitsoperationen. 
 
Fra(n)g: 
Immerhin ist diese Verschönerungsmethode narkosefrei.
Aber selbst, wenn man sagt, es ist Sport, bleibt es irgendwie andersrum. Als ob man Hochsprung macht, um groß und schlank zu werden. 
 
ANTreas: 
Eigentlich ist der Körper, den man von einer Disziplin kriegt, ja in der Tat eher eine Art Kollateralschaden und nicht das Ziel. 
 
Fra(n)g: 
Das Wort sollte man in Kriegszeiten nicht in diesen Zusammenhängen benutzen. 
 
ANTreas: 
Stimmt. 
Was ich sagen wollte, war, dass man die Auswirkungen auf die Körperform in Kauf nimmt. Marathonläufer werden halt noch dürrer, Kugelstoßerinnen noch stabiler. 
 
Fra(n)g: 
Schwimmer haben Glück. 
 
ANTreas: 
Aber sie wollen in erster Linie schnell schwimmen. 
In einem zweiten Schritt kriegen sie davon ein breites Kreuz und manchmal eine Chlorallergie. 
 
Fra(n)g: 
Goldmedaillen kommen halt immer mit Gepäck. 
 
ANTreas: 
Das stimmt. Aber gemeißelte Nackedeis kriegen nicht mal einen Pokal. 
 
Fra(n)g: 
Trotzdem schaffen sie es, dass wir zwei Hirnwindungen nun schon eine ganze Weile über sie nachdenken. 
 
ANTreas: 
Wahrscheinlich sind wir einfach nur neidisch, weil die sich mehrmals in der Woche zur Stählung aufraffen können. 
 
Fra(n)g: 
Da könnte was dran sein. 
Nur weil wir zu faul sind, Gewichte zu stemmen, finden wir, dass diejenigen, die das machen, mehr lesen sollten. 
 
ANTreas: 
Dabei gibt es auch Leser, bei denen man das Gefühl hat, dass sie Romane, Sachbücher und Artikel nur konsumieren, um für andere attraktiver zu werden. 
 
Fra(n)g: 
Sie meinen, dass manche Buchstabenfreunde ihr Wissen vor sich hertragen wie Hanteljungs ihren Pectoralis major? 
 
ANTreas: 
Genau. Und natürlich gibt es für Vorträge zur neuesten literarischen Entdeckung ähnlich unpassende Gelegenheiten wie kühlen Nordwind für freigelegte Sixpacks. 
 
Fra(n)g: 
Ich finde, wir sollten das Ganze einfach umdrehen: Wer nicht wie gemeißelt aussieht, muss immerhin nicht frieren. 
Was halten Sie davon? 
 
ANTreas: 
Ich mag Ihre positive Sichtweise. 
Man kann den Grad der Verhüllung dann einzig und allein von der Temperatur abhängig machen. 
So wie Langstreckenläuferinnen mit Mütze. 
 
Fra(n)g: 
Und ohne, dass die Muckis oder der aufgeplusterte Po „Zeig mich! Zeig mich!“ rufen. 
 
ANTreas: 
Ein Hoch auf das entspannte Leben! 

 

30.03.2022

WENN ALLES KACKE IST


Vergangene Woche überwand sich der geschätzte Morgenmagazinmoderator Benjamin zu der rhetorischen Frage, ob man mehrere Tage wolkenlosen Himmels tatsächlich als gutes Wetter bezeichnen könne. 

Es gehe halt nicht nur um Badehosen, sondern auch um Trockenheit, Ernteausfälle und Niedrigwasser. Von Waldbränden ganz zu schweigen.


Stimmt, dachte ich, weil viele Dinge zwei Seiten haben. 

Bemerkenswert fand ich jedoch, dass es dem guten Benjamin unangenehm schien, darauf hinzuweisen. 

 

Nur zwei Stunden später entschuldigte sich eine Moderatorin im Radio. 

Als ob es nicht schon genügend schlechte Nachrichten gebe, würden sie jetzt auch noch über Sonnenstürme berichten. Der Gefahr ins Auge zu sehen, sei aber bekanntlich besser als hinterher zu heulen. 

Deswegen lasse sich das Thema nicht vermeiden. 

 

Das klang früher anders, dachte ich in meiner Freude über Sonnenschein und wissenschaftliche Radiosendungen und kam zu folgender Feststellung: 
Wenn alles kacke ist, fühlt es sich anscheinend kacke an, weitere Kacke zu verkünden.

 

Fra(n)g:
Artgerecht formuliert fragen wir uns also, warum Überbringer
von Bad News auf einmal ihr schlechtes Gewissen betonen.
 
ANTreas:
Vermutlich wegen der Masse an Bedrohungen:
Corona, Krieg und Klima mit sämtlichen Folgen.
Und jetzt auch noch Will Smiths Ohrfeige.
 
Fra(n)g:
Aber da können Moderatoren nichts für.
 
ANTreas:
Sie wissen aber, dass die Leute sie besser leiden könnten,
wenn sie auch mal was Schönes erzählen würden.
 
Fra(n)g:
Dann bauen sie also schwindender Beliebtheit vor?
 
ANTreas:
Indem sie darauf hinweisen, dass journalistische Notwendigkeiten
ihr Verständnis für die Sehnsüchte nach netten Mitteilungen schlagen.
Genau.
 
Fra(n)g:
Dabei sind ja nicht die Nachrichten böse, sondern die Welt,
die sie beschreiben.
 
ANTreas:
Richtig beobachtet.
Wenn man Bad News googelt, werden einem übrigens
Neuigkeiten aus deutschen Kurorten geliefert.
 
Fra(n)g:
<braucht eine Weile>
Ah. Bad News.
Und bei Good News?
 
ANTreas:
Da kommen Websiten und Rubriken mit guten Nachrichten.
Dass Querschnittgelähmte mit eingesetzten Elektroden ein paar Schritte gehen können, dass ein Lobbyregister für den Bundestag eingeführt wurde, dass in Saudi-Arabien Frauen seit Kurzem Lokführerinnen werden dürfen, dass Ameisen Krebszellen erschnüffeln können, dass Umweltschutz in Italien in die Verfassung aufgenommen wird und so weiter.
 
Fra(n)g:
Hat es Ihnen gutgetan, das zu lesen?
 
ANTreas:
Und wie! Oder etwas sachlicher gesagt: Es schadet garantiert nicht.
Für diese gute Nachricht verbürge ich mich persönlich.
 
Fra(n)g:
Sie gehen ordentlich ran heute.
Trotzdem hat man das Gefühl, dass schlechte Stories
mit mehr Bazooka daherkommen.
 
ANTreas:
Ein paar Tage Sonnenschein statt des üblichen Wolkenstaus im nördlichen Alpenvorland und das ein oder andere Sonnenstürmchen sind für sich genommen auch keine großen Sachen.
 
Fra(n)g:
Das heißt, die Einordnung ins große Ganze und der Hinweis
auf böse Auswirkungen steigern das Spektakel?
 
ANTreas:
So kann man es sagen - auch wenn es natürlich richtig ist,
diese Zusammenhänge zu präsentieren.
 
Fra(n)g:
Dass die weltweite Gleichberechtigung einen Schritt nach vorn gemacht hat, wie man an den saudischen Lokführerinnen sieht,
klingt auch nach mehr.
 
ANTreas:
Die Online-Recherche von Good und Bad zeigt übrigens auch,
dass das Gute eine Rubrik als Rechtfertigung des Erscheinens braucht. Das Schlechte hingegen darf ganz selbstverständlich
zur Nachricht werden.
 
 Fra(n)g:
Sie meinen, man hat schlechte Neuigkeiten
zu Standardnews befördert?
 
ANTreas:
Wahrscheinlich verkaufen sie sich besser.
 
Fra(n)g:
Vielleicht ist das Entschuldigungsbedürfnis von Moderatoren
dann doch nicht so weit hergeholt.
 
ANTreas:
Man könnte aber auch sagen, die Welt ist noch nicht ganz verloren.
 
Fra(n)g:
Wie meinen Sie das?
 
ANTreas:
Kennen Sie den Spruch News is what’s different
 
Fra(n)g:
Sie meinen, dass Hund beißt Mann keinen Neuigkeitswert hat, 
während Mann beißt Hund eine Nachricht ist?
 
ANTreas:
Genau. Und immerhin zeigt dieses alte Motto, 
dass wir Krieg, Umweltzerstörung und Virusattacken 
noch nicht als Normalzustand akzeptieren. 
 
Fra(n)g:
Das versöhnt einen ein wenig mit der Menschheit. 
 
ANTreas:
Und sorgt dafür, dass man sich weniger über die schlechte Nachricht 
an sich grämt. 
Die Welt, die sie beschreibt, ist natürlich etwas anderes. 
 
Fra(n)g:
Ob das tröstet?
 
ANTreas:
Falls nicht, könnte man es auch mathematisch angehen.
 
Fra(n)g:
Sie geben heute aber alles. 
Vielleicht müssen wir sie als Lobbyist für Good News 
ins neue Register eintragen lassen.  
Was meinen Sie mit mathematisch?
 
ANTreas:
Nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit 
kommen nach schlechten auch wieder gute Phasen.
 
Fra(n)g:
Aber der Lauf der Dinge verhält sich nicht wie ein Würfel mit sechs Seiten oder wie 49 Lottokugeln.
 
ANTreas:
Mannomann. 
Dass das mit der Wahrscheinlichkeit seine Tücken hat, weiß ich selbst. 
Mit ihrer Kleinkrämerei machen Sie mir meinen schön optimistischen Schluss zunichte. 
 
Fra(n)g:
Sie meinen, ich habe die gute Nachricht verhagelt?
 
ANTreas:
Kein Grund zur Selbstanklage. 
Lesen Sie lieber jeden Tag ein paar gute Nachrichten, die sind im Netz leicht zu finden. 
 
Fra(n)g:
Oder ein paar Neuigkeiten aus deutschen Kurorten. 
Das ist sicher auch erbaulich.

 

18.03.2022

WER RÄT DENN DA?


Neulich haben wir unser Bücherregal ausgemistet. 

Die Exemplare ohne Eselsohren, zum Teil sogar noch eingeschweißt, standen ganz unten. Ungelesene Lebensratgeber, gutgemeinte Präsente, die uns auf die Sprünge helfen sollten. 

 

Offensichtlich glauben Bekannte und Kollegen, dass die persönlichen Potenziale bei uns in der Wohnung rumgammeln wie Fusseln unter einem alten Teppich. 

Man hält uns für zu unglücklich, zu hektisch, für mangelhafte Sozialwesen und sanierungsbedürftige Eheleute. 

 

Laut Klappentexten wären wir vor Glück strahlende Alltagshelden geworden, wenn wir die Plastikfolie von den Werken gerissen und die vielen Tipps befolgt hätten. 

 

Haben wir aber nicht. Wir haben sie gespendet. 

Mögen nun andere Leute über ihre Schatten springen, die Komfortzone verlassen, dahin gehen, wo es auch mal wehtut oder ihre Vorhaben visualisieren. 

 

Wir denken lieber nach und suchen eigene Wege. 

 

 Fra(n)g:
Warum sind Ratgeberbücher so populär?
 
ANTreas:
Tipps zur Lebensführung verkaufen sich ja nicht nur in Buchform. Auch im TV und Magazinen. Und online werden wahrscheinlich Millionen von Tipps am Tag gegeben.
 
Fra(n)g:
Woher kommen die vielen Menschen, die fünf, sieben oder zwölf Schritte, Wege oder Übungen zur Selbstfindung, -verwirklichung oder -erkenntnis anbieten?
 
ANTreas:
Die sprechen zwar verständlicher als sie, sind aber ansonsten auch nur wissenschaftliche Laien. Hobby-Psychologen mit drei Wochenendseminaren bei anderen Hobby-Psychologen. Manche sind sogar Ghostwriter mit erfundenen Alter Egos.
 
Fra(n)g:
Und die helfen dann der Allgemeinheit?
 
ANTreas:
Dem ein oder anderen sicher.
Aber in erster Linie befriedigen sie den Anspruch ihrer Kunden, sich zu verbessern.
 
Fra(n)g:
Ohje, die Selbstoptimierungshölle.
Volle Konzentration auf das Ich.
 
ANTreas:
Seien sie nicht so streng.
Es ist nicht verwerflich, nach Höherem zu streben.
 
Fra(n)g:
So wie sie das sagen, klingt es edel.
Aber oft ist es nichts anderes als Egoismus, der sich im Gewand der Ambition versteckt.
 
ANTreas:
Das wiederum klingt selbst ziemlich ambitioniert.
Eigentlich geht es doch nur darum, das eigene Leben besser zu gestalten.
 
Fra(n)g:
Aber werde ich durch die vielen Tipps nicht erst auf die Idee gebracht, meinen Alltag und die eigene Persönlichkeit pimpen zu müssen?
 
ANTreas:
Wenn die Leute nicht das Gefühl hätten, Ratschläge zu brauchen oder sie verschenken zu wollen, dann gäbe es sie nicht. Die Nachfrage bestimmt das Angebot.
 
Fra(n)g:
Vielleicht bringen die vielen Entspannungs-Ratgeber aber manche Leute erst auf die Idee, gestresst zu sein.
Dann würde das Angebot die Nachfrage verstärken.
 
ANTreas:
Da ist was dran.
 
Fra(n)g:
Warum sind die Leute nicht in der Lage, sich auszudenken, was gut für sie sein könnte?
 
ANTreas:
Man kann ja nicht alles wissen.
Sie haben doch früher auch bei Dr. Sommer nachgeguckt, wie das so geht mit Sex und Liebe.
 
Fra(n)g:
In erster Linie haben mich die Probleme der anderen unterhalten. Außerdem konnte man sich besser fühlen, wenn man sich nicht ganz so dämlich angestellt hat wie die.
 
ANTreas:
Klassischer Voyeurismus.
 
Fra(n)g:
Von mir aus. Aber wenn der befriedigt ist, könnten die Leute doch trotzdem selbst überlegen, wie sie froher werden. Oder wohin sie welche Socke stopfen.
 
ANTreas:
Aber dann hat man sich nicht richtig schlau gemacht.
 
Fra(n)g:
Aber man hätte mal richtig nachgedacht!
Vielleicht sind Ratgeberbücher so angesagt, weil die Leute zu faul sind, sich selbst Gedanken zu machen.
 
ANTreas:
Das klingt radikal.
 
Fra(n)g:
Aber es könnte doch sein, dass es aus der Mode gekommen ist, sich Dinge durch den Kopf gehen zu lassen.
 
ANTreas:
Vielleicht.
Das Handy zu zücken, wenn wir nicht weiterkommen, geht schneller als zu grübeln. 
 
Fra(n)g:
Sourcen wir das Denken out?
 
ANTreas:
Ins Internet?
 
Fra(n)g:
Das hat man immer in der Hosentasche.
 
ANTreas:
Aber Copy-und-Paste kann die eigene Persönlichkeit verbeulen. 
 
Fra(n)g:
Trotzdem gibt es Lust auf Lebensgestaltungsgurus. Die sozialen Medien sind voll von ihnen.
 
ANTreas:
Das zeigt in erster Linie, dass die Leute gerne Guru sein wollen und jede digitale Gelegenheit nutzen, sich als Vorbild, Held oder Idol zu inszenieren.
 
Fra(n)g:
Sie meinen, Marketing, Schamlosigkeit und Selbstüberschätzung befördern den Normalo zum Ratgeber?
 
ANTreas:
In gewisser Weise ist ja jeder, der lebt, Experte fürs Leben. Und viele Leute machen dieses Expertentum zum Beruf.
 
Fra(n)g:
Wenn das so einfach ist, sollten wir es auch versuchen.
Wir könnten Ohne Ratgeber glücklich. Warum selbst nachzudenken hilft schreiben und damit unsere Kasse füllen.
 
ANTreas:
Ein Ratgeber gegen Ratgeber?
Dem haftet ein gewisser Irrsinn an.
 
Fra(n)g:
Aber wir würden den Leuten damit helfen.
 
ANTreas:
Mit dieser Ausrede lässt sich viel Mist rechtfertigen.
Wir würden nichts anderes tun als unsere persönlichen Überlegungen als allgemeingültig herauszuposaunen.
 
Fra(n)g:
Vielleicht wäre das ein bisschen wie ihre Antworten ohne meine Fragen.
 
ANTreas:
Eine Antwort, der die Frage fehlt, ist eine Dummheit!
<zieht sich kopfschüttelnd in seine Hirnhälfte zurück>
 
Fra(n)g:
<ruft ihm hinterher>
Aber ich könnte Ratgeber für sie schreiben.
Die Schlechte-Laune-Falle. 8 Tipps, wie sie ihre Mundwinkel höher tragen.
Oder Diesem Darm fehlt der Charme: Weshalb Klugscheißen stinkt.
Sie würden sich sofort nach der Lektüre besser fühlen.

ANTreas:
<aus dem Off>
Ich habe auch noch eins für sie:
Einfach mal die Klappe halten. Warum schweigen besser ist als Reden.
Das gibt es übrigens schon, das muss man nicht mal mehr schreiben. 
 


05.03.2022

OHNE WITZ


Humor fällt schwer in Zeiten von Bestürzung, Mitgefühl und Angst. 
Man kann einfach nichts mehr nicht ernst nehmen. Anders ausgedrückt: Leichtigkeit, wo bist du hin? 

Wie einfach war es, Corona als die Kacke mit C zu bezeichnen. 

Den Krieg Kacke mit K zu schimpfen, wäre geschmacklos.

 

Trotzdem stellen wir uns Fragen: 

Warum glaubt man eigentlich immer bis zum Schluss, dass es doch noch gutgehen wird? 

Wie kommt jemand auf so einen Scheiß? 

Wohin soll das eigentlich führen? 

 

Antworten gibt es keine. Höchstens Versuche. 

 

Im Alltag, ob im Büro oder im Privaten, hat man sich manchmal exakt dieselben Fragen gestellt. Doch der jeweilige Hintergrund war so viel harmloser, dass sich Vergleiche verbieten. 

 

Einige Humoristen wagen sich hervor, vorsichtig wie Frühblüher. 

„Ich wäre gerne Putin. Dann könnte ich einen Krieg beenden“, versuchte es die sonst so wunderbare Sarah Bosetti dieser Tage. 

„Man hat nur noch die Wahl zwischen geistig zumachen und nix fühlen oder aufmachen und zu viel fühlen“, stellte Aurel Mertz fest, der sonst weit weg ist von Kalendersprüchen. 

 

 Fra(n)g:
Was ist das für eine beschissene Zeit, in der einem noch nicht einmal danach ist, einen blöden Spruch zu reißen?
 
ANTreas:
Es sind Tage und Wochen, in denen der Krieg sich über alles legt, was wir tun und denken. 
 
Fra(n)g:
Kriegen wir ihn gar nicht aus dem Kopf?
 
ANTreas:
Darum geht es nicht. 
Krieg ist zum Maßstab für alles geworden. 
Gedanken und Äußerungen werden daran gemessen. 
 
Fra(n)g:
Habe ich deswegen das Wort Corona-Diktatur schon so lange nicht mehr gehört?
 
ANTreas:
Vermutlich. 
Selbst Deppen und Wortverdreher lernen nun, was ein Diktator ist. 
 
Fra(n)g:
Aber trotzdem werden noch ein paar von ihnen so reden.
 
ANTreas:
Natürlich. Aber man hört ihnen nicht mehr zu. 
Ein anderer Idiot mit seiner Gefolgschaft hat sie übertrumpft. 
Leider hat der ungleich mehr Macht. 
 
Fra(n)g: 
Und er kapert unser Denken und Fühlen.
 
ANTreas:
So kann man es sagen. 
Moderatoren von Nachrichtenmagazinen formulieren sogar so etwas wie Entschuldigungen, wenn ein Thema nicht mit dem Ukraine-Krieg zu tun hat. 
 
Fra(n)g:
Ist das notwendig?
 
ANTreas:
Nein, das ist es nicht. 
Aber es ist ein Bedürfnis. 
Weil nichts wichtig erscheint, angesichts dieses Überfalls mit Elend, mit Gewalt und Zerstörung. 
 
Fra(n)g:
Wann wird sich das wieder ändern?
 
ANTreas:
Ich weiß es nicht.
 
Fra(n)g:
Sie haben keine Antwort?
 
ANTreas:
Dass man es nicht weiß und nicht versteht, ist eine der Erkenntnisse der jetzigen Situation.
 
Fra(n)g:
Wie meinen Sie das?
 
ANTreas:
Krieg ist eine Zeit der Thesen, mit denen man versucht, Vermutungen zu erklären. 
 
Fra(n)g:
Sie wollen sagen, wir suchen nach Gründen für das, was passiert, obwohl wir nicht einmal sicher sein können, was genau das ist. 
 
ANTreas:
Das klingt nicht weniger verschwurbelt als mein Satz, aber es bedeutet ungefähr das Gleiche. 
 
 Fra(n)g:
Ich wollte mit ihnen nicht in einen sprachlichen Battle eintreten. 
 
ANTreas:
Sie wollen auch nicht gewitzt klingen. 
 
Fra(n)g:
Man möchte zurzeit generell nicht glänzen.
 
ANTreas:
Und ich nehme diesen Ball nicht auf, indem ich sage, dass sie sich ohnehin keine Sorgen machen müssen, das zu sehr zu tun.
 
Fra(n)g:
Sie würden damit auch nicht mehr als ein mitleidiges Lächeln ernten. 
 
ANTreas:
Das stimmt. Man würde nicht einmal über mich schimpfen, weil unsere Verfehlungen im Angesicht der Katastrophe zu gering sind. 
 
Fra(n)g:
Wir sind nicht mehr dieselben. 
 
ANTreas:
Was völlig nachrangig ist. 
 
Fra(n)g:
Was sollen wir tun?
 
ANTreas:
Solidarisch sein – mit allen Konsequenzen.
 
<Sie nicken sich zu und verziehen sich in ihre Hirnhälften>


18.02.2022

GUTES TRICKSEN, SCHLECHTES TRICKSEN


 Dieser Text begann ursprünglich mit Betrachtungen über die Russen.
Angesichts des Krieges erschien es mir unangebracht, mich über sie und unser Verhältnis zu ihnen lustig zu machen.
Ich habe den Anfang deswegen gelöscht.

 
Aufhänger für die Unterhaltung von Fra(n)g & ANTreas war der olympische Eiskunstlauf. Das ist der Sport, bei dem Menschen auf Kufen so tun, als litten sie unter pathologischer Emotionalität. 
 
Am besten eislaufen kann derzeit ein Teenager aus Moskau. Sie ist tatarischer Herkunft und dreht die schönste Bielmann-Pirouette aller Zeiten. 
Merken Sie was? Tataren? Pirouetten? Da rappelt es mal so richtig in der Vorurteilskiste. Aber das nur am Rande. 
 
Eigentlich geht es um Doping. 
 
Naheliegend bei olympischen Spielen, der Zeit, in der Waffen und Spritzen schweigen sollten. 
Auch diesmal gibt es wieder Fälle. Man könnte über die Vergehen eines Iraners und einer Ukrainerin berichten, die Verbotenes pinkelten. 
Aber die beiden lagen in ihren Sportarten so weit hinten, dass sie es ohne Beschiss vermutlich nicht einmal bis zur Kreismeisterschaft geschafft hätten. 
Erfolglose Doper sind uns egal. 
 
Erfolgreiche hingegen werden zu DER Sensation, DEM Aufreger, DEM Drama. 
So wie jetzt der russische Teenager, der behauptet, an Opas Herztropfen genuckelt zu haben. 
 
Mal ganz ehrlich: Doping bei Olympia hat den Überraschungswert von Tütensuppen. 
Warum also die Empörung? 
 

Fra(n)g: 
Wieso echauffieren wir uns über gedopte Sportlerinnen und Sportler? 
 
ANTreas: 
Es ist Betrug. Außerdem schaden Menschen ihrer Gesundheit. 
 
Fra(n)g: 
Dann sollten wir uns auch über die Steuererklärung eines einzelnen Rauchers aufregen. 
Oder über den blauen Montag nach einem durchzechten Wochenende. 
Damit kommt aber niemand in den Spiegel und erst recht nicht in die Tagesschau. 
 
ANTreas: 
Das ist ein bisschen Schummeln. 
Zu dopen bedeutet viel schlimmeren Betrug. 
 
Fra(n)g: 
Meinen Sie das ernst? 
 
ANTreas: 
Nein. 
 
Fra(n)g: 
Unlauter zu tricksen ist in unsere Gesellschaft doch generell verpönt, oder? 
 
ANTreas: 
Zitate-Schwindel bei Doktorarbeiten, Instagram-Filter, „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“ zeugen von Ausnahmen. 
 
Fra(n)g: 
Sie vergessen Spickzettel. 
 
ANTreas: 
Na, die haben doch auch etwas Niedliches. 
 
Fra(n)g: 
Das klingt, als hätten Sie ein beinahe kuscheliges Verhältnis zu Betrügereien, die Ihre eigenen sein könnten. 
 
ANTreas: 
Im Gegensatz zu denen, die von Sportlern kommen, die sich mehr schinden, als ich das jemals tun würden. 
 
Fra(n)g: 
Okay, eine Voraussetzung fürs Aufregen über Doping ist also, dass diese Art von Betrug weit weg von der durchschnittlichen Bierwampe ist, so dass man sicher sein kann, niemals selbst in Versuchung zu geraten.  
 
ANTreas: 
Eine zweite Bedingung, damit wir uns echauffieren können, ist, dass die verbotene Substanz ans Tageslicht kommen muss. Nachweislich. 
 
Fra(n)g: 
Wie meinen Sie das? 
 
ANTreas: 
 Von neuen Weltrekorden und der weiteren Verschiebung menschlicher Leistungsfähigkeit nach oben sind wir begeistert. 
Erst einmal verbitten wir uns jeglichen Verdacht, damit wir ungetrübt bewundern können. 
 
Fra(n)g: 
Vermutlich wollen Sie damit sagen, dass unsere Begeisterung auf einer absichtlichen Naivität beruht. 
Das stimmt.  
Wir wollen glauben, dass es für uns keine Grenzen gibt. 
 
ANTreas: 
Und falls jemand entdeckt wird, dann sind das Verwerflichste die blöden Ausreden. 
 
Fra(n)g: 
Zumindest bei den Guten. Die tun es ja eigentlich für Geld und Ehre, versuchen es aber nach einem Versehen aussehen zu lassen. 
 
ANTreas: 
Im Gegensatz zu den Russen. Da neigt man zu der Annahme, sie tun es für den Staat. Oder noch schlimmer, für Putin. 
 
Fra(n)g: 
Als ob rollende Rubel kein Geld wären. 
 
ANTreas: 
Zurück zu den blöden Ausreden. 
 
Fra(n)g: 
Beim Dopen betrügt mich ja niemand persönlich. Aber bei den Erklärungen, da fühle ich mich zuhause auf dem Sofa mal kurz veräppelt. 
 
ANTreas: 
„Mal kurz“ ist der Knackpunkt.  
Dass das Steroid in der Sonnencreme war, klang vor gut drei Jahren noch völlig dusselig. 
Dass dieselbe Frau Johaug nun in Peking zwei Goldmedaillen gewonnen hat, lässt sie im sportlichen Glanz erstrahlen. 
 
 Fra(n)g: 
Die Sonnencreme hatte ich mir gemerkt. Aber dass das Frau Johaug war, wer soll das heute noch wissen. 
Auf den Hitlisten der doofen Ausreden ist übrigens “Ich musste für ein Buch über Doping recherchieren“ sehr weit oben. 
Das war ein Radfahrer. Man fragt sich, ob er versucht hat, die Dopingmittel von der Steuer abzusetzen. 
 
ANTreas: 
Oder „Mamas Medikament ist ihr beim Kochen in den Topf gefallen.“ 
Eine italienische Tennisspielerin hat da vergessen, rechtzeitig zuhause auszuziehen. 
 
Fra(n)g: 
Hohe Testosteronwerte eines Sprinters wegen angeblicher vierfacher Begattung der Gattin in der Nacht vor dem Test haben mir auch gut gefallen. 
 
ANTreas: 
Wir halten fest, von den meisten Dopingfällen bleibt die Ausrede, die zum Party-Smalltalk avanciert ist. 
Über den Fall an sich regen wir uns kurz künstlich auf, dann vergessen wir ihn schnell wieder.  
 
Fra(n)g: 
Wir lieben halt Leistung. 
 
ANTreas: 
Genau. Und eine Menge Studenten lieben Ritalin. 
 
Fra(n)g: 
Vielleicht ist die offensiv vorgetragene Empörung bei der Beurteilung von Doping eher so etwas wie Eigen-PR. 
 
ANTreas: 
Sie meinen, dass wir uns hauptsächlich über dopende Sportler aufregen, weil das uns selbst moralisch gefestigt erscheinen lässt? Seht her, mein Kompass ist in Ordnung? 
 
Fra(n)g: 
Könnte doch sein. 
In Wahrheit machen wir uns eher darüber lustig, dass der- oder diejenige sich hat erwischen lassen. 
 
ANTreas: 
Da ist was dran. 
Resultate von Photoshop und Instagram-Filtern und andere optimierte Selbstdarstellung akzeptieren wir ja auch, solang uns keiner mit der Nase darauf stößt.   
 
Fra(n)g: 
Nicht nur Optimierungen, auch größere Betrügereien. 
Die alltägliche Steuerhinterziehung zum Beispiel. Auch über Doping im Fitnessstudio machen wir uns keine Gedanken, solang die Fitness-Junkies gesund und kräftig aussehen.  
 
ANTreas: 
Eine Fachzeitschrift für Trainer mit dem schönen Namen LeistungsLust schätzt übrigens, dass hierzulande vierhundertausend Freizeitsportler mit Anabolika oder Medikamenten nachhelfen. 
 
Fra(n)g: 
Wie gesagt, wenn es schön macht, grübeln die wenigsten über den Ursprung der Muckis. 
 
ANTreas: 
Übrigens residiert die LeistungsLust in der Lazarettstraße. 
 
Fra(n)g: 
Aus der Abteilung „Witze, die man nicht erfinden sollte“. 
 
ANTreas: 
Ich sage ihnen, wenn es nicht um russische Olympioniken geht, ist das Image von Doping gar nicht so schlecht. Man gibt halt alles und sogar noch ein bisschen mehr! 
Außerdem macht eine kleine Prise kriminelle Energie auch ein bisschen sexy. 
 
Fra(n)g: 
So bescheuert das klingt, es könnte etwas dran sein. 
Ein Shampoo wirbt doch auch schon seit ewigen Zeiten damit, wie Doping für die Haare zu wirken. Scheint zu funktionieren, sonst hätten sie sich längst einen anderen Claim ausgedacht. 
 
ANTreas: 
Die Firma sponsert übrigens auch ein Profi-Radteam. 
 
Fra(n)g: 
Ich würde sagen, dass ist ebenfalls ein Witz, den man nicht erfinden sollte. 


 

01.02.2022

DER WILLE WAR DA(TENSCHUTZ)


 Selbstverständlich kenne ich diese Geschichte nur von einem Freund, der sein leider positives Testergebnis wiederum leider ohne QR-Code erhalten hat, es aber trotzdem in die Warn-App eintragen wollte.  
 
Dazu soll man eine Telefonnummer wählen. 
Warteschleife. 
Irgendwann sagt jemand artig Guten Tag, um dann Maschinengewehrsalven an Datenbestimmungen herunterzurattern. 
Zunächst denkt man, es handele sich um einen Fehler, weil eine Stimme beim Geschwindigkeitsvorlesen anders klingt als beim Guten-Tag-Sagen. 
Dann überlegt man, ob die Sprachattacke vom Band kommt. 
Am Ende will man nur noch wissen, ob das nie endet. 
 
Wie bereits erwähnt, ich kenne die Geschichte nur von einem Freund. Aber bei mir war das schon bei Dieter-Thomas Heck am Ende der Hitparade so. 
 
Irgendwann holt der Mensch am anderen Ende der Leitung Luft. Zum Glück.  
Automatisch spitzt man die Ohren und versteht, dass man auflegen soll, damit er einen zurückrufen kann. „Hä?“, denkt man und folgt dem Geheiß. 
Es vibriert und man notiert mit Kugelschreiber einen elend langen Mix aus Zahlen und Buchstaben, die „der Einfachheit halber“ alle groß oder alle klein sind, das wusste besagter Freund nicht mehr so genau, weil er bis dahin schon fast ins Datenkoma gefallen war.  



Fra(n)g:
Ob das mit dem Datenschutz manchmal ein bisschen übertrieben wird? 
 
ANTreas:
Sie wollen doch auch nicht, dass andere zu viel über sie wissen - 
Geheimdienste, Arbeitgeber, Behörden, Erpresser und solche Leute. 
Geheimnisse sind nur für gute Freunde. 
Das Internet hingegen ist eine Litfaßsäule.
 
Fra(n)g:
Vielen Dank für die Predigt. 
Aber wenn ein guter Freund ein Geheimnis übers Internet erfahren möchte?
 
ANTreas:
Was denn für ein Geheimnis übers Internet?
 
Fra(n)g:
Zum Beispiel Nacktfotos.
 
ANTreas:
Dann ist es kein guter Freund.
 
Fra(n)g:
Okay, dann sagen wir ein potenziellX LiebhabX (m/w/d). 
Wollen Sie sich von diesen Personen kein Bild verschaffen, bevor sie sich mit ihnen ausziehen?
 
ANTreas:
Nein. 
 
Fra(n)g:
Ach, sie sind wieder so unmodern! 
 
ANTreas:
<stolz und selbstsicher>
Was ich nackig mache, ist nicht unmodern, sondern geht niemanden etwas an.
 
Fra(n)g:
Also brauchen wir mehr Datenschutz?
 
ANTreas:
In puncto Nacktfotos brauchen wir vor allem mehr Grips. 
Wenn ich meine Geschlechtsteile an die Wohnzimmerwand hänge, muss ich damit rechnen, dass Haushaltshilfen, Eltern auf Besuch und auch Heizungsableser sie sehen.
 
Fra(n)g:
Sicher sind Aktfotos von sich selbst an Zimmerwänden deswegen nicht so verbreitet. 
Wer will schon die Bilder abhängen, wenn es klingelt. 
 
ANTreas:
Oder jeden Besucher an der Tür abwimmeln. 
Der Datenschutz regelt übrigens, dass wir genau das können. 
Wir müssen zustimmen, wenn jemand ein Geheimnis von uns weitererzählt. 
 
 Fra(n)g:
Würde ich nie gestatten. 
Kontostand, Sex, mein Milchreis-Rezept: alles geheim! 
 
ANTreas:
Verständlich. 
Beim Datenschutz ist natürlich mehr top-secret. 
Die Stadt, in der wir wohnen, zum Beispiel. 
 
Fra(n)g:
Die darf niemand wissen?
 
ANTreas:
Nur der, dem ich sie verrate. 
Und es geht auch nicht nur ums Weitersagen. Man darf sie auch nicht behalten.  
So was muss auch genehmigt werden. Explizit. 
 
 Fra(n)g:
<erschrickt>
Ach du liebe Güte!
 
ANTreas:
Was ist los? 
 
Fra(n)g:
Ich merke mir manchmal, wo Leute wohnen. 
Das ist ja dann illegal!
 
ANTreas:
Merken ist okay. Da zählt der Gesetzgeber auf die Beschränkungen des menschlichen Hirns. 
<Pause>
Im Fall des ihrigen mit Recht!
<lacht über seinen Witz>  
Aber Speichern ist schwierig. 
 
Fra(n)g:
Ausgelacht?
Nach dieser Logik sind Geheimnisse im Analogen nur etwas für Vergessliche mit niedrigem IQ.
 
ANTreas:
Oder für Goldfische. 
<fängt wieder an zu lachen>
Oder für sie. 
 
Fra(n)g:
An ihnen erkennt man, wozu man Datenschutz braucht. 
Nur, weil ich mir vor sieben Jahren ihre Handynummer nicht merken konnte, werde ich zeitlebens mit einem Goldfisch verglichen. 
<gibt sich einen Ruck>
Sie können sich aber sicher sein, dass ich ihre Nacktfotos nie vergessen werde.
 
ANTreas:
Meine Nacktfotos? 
<kleinlaut>
Woher haben sie die? 
 
Fra(n)g:
Das darf ich aus Datenschutzgründen nicht sagen. 
 
ANTreas:
Es war eine Jugendsünde. Das Internet vergisst nie.
 
Fra(n)g:
In ihrer Jugend gab es gerade mal Taschenrechner .  
 
ANTreas:
<amtlicher Ton>
Datenschutz gewährleistet, dass solche Sachen nicht passieren. 
Oder dass es zumindest verboten ist, dass sie passieren.  
 
Fra(n)g:
Aber ist es nicht merkwürdig, dass Wohnort, Kontostand und Nacktfotos eine mehr oder weniger gleichgeschützte Sauce sind?
 
ANTreas:
Ja, die meisten Leute verkünden ihre E-Mail-Adresse mit weniger Bedenken als Misserfolge bei der Fußpilz-Behandlung. 
Für den Datenschutz wiegt das aber alles gleich. 
 
 Fra(n)g:
Deswegen die Litanei bei der Corona-Hotline?
 
ANTreas:
Deswegen auch die Cookie-Textorgien bei Websites. 
 
Fra(n)g:
Oder die Zustimmungshäkchen beim Bestellen?
 
ANTreas:
Auch die.
 
 Fra(n)g:
Aber schützen Wortschwalle, Haken und Kreuze Daten?
 
ANTreas:
Sie sorgen dafür, dass dem Datenschutz genüge getan wird. 
 
Fra(n)g:
… und nerven den Geschützten.
 
ANTreas:
Sicher nicht jeden. Aber viele. 
 
 Fra(n)g:
Und der Ausweg?
 
ANTreas:
Einer wäre, sich ein bisschen locker zu machen. 
So wie die Schweden. 
 
 Fra(n)g:
Schützt der Schwede sich schlecht?
 
ANTreas:
Zumindest können behördliche Daten eingesehen werden. Von jedem. Auch die Steuererklärung. 
 
Fra(n)g:
Ach du liebe Güte!
 
ANTreas:
Nix Ach du liebe Güte! 
Schweden steht noch. 
 
 Fra(n)g:
Und Ausweg zwei?
 
ANTreas:
Gesammelte Informationen einer eindeutigen Person zuzuordnen wird verboten.  
 
Fra(n)g:
Ist das nicht das Geschäftsmodell von Facebook, Google und Co? 
Für personenbezogene Werbung?
 
ANTreas:
Dann hat Reklame halt wieder mehr Streuverlust. So what?
 
Fra(n)g:
Warum macht man das nicht einfach?
 
ANTreas:
Weil sich so, wie es ist, keiner beschweren kann. 
Die, die Schutz wollen, haben ihn. 
Wer Geschäfte machen will, kann das trotzdem tun. 
 
Fra(n)g:
Man könnte auch sagen, Hater können anonym attackieren und Verbrecher sich tarnen. 
Dafür müssen Leute nie gelesene Texte unterschreiben, und telefonieren, um eine Warn-App zu bedienen.  
 
ANTreas:
Gut gemeint nennt man das dann wohl.
 
 Fra(n)g:
Oder: Der Wille war da.
 
ANTreas:
Das sagen Trainer nach dem Null-zu-Fünf-Debakel.
 
Fra(n)g:
Eben.


 

12.01.2022

DAUERND NEUE REGELN


 Neues Jahr, neue Regeln: 
 
Zum Beispiel müssen Wohnungsbesitzer, wenn fernablesbar gemessen wird, ihren Mietern jetzt monatlich mitteilen, wieviel Heizkosten aufgelaufen sind. 
 
An der Ladenkasse gibt es keine Plastiktüten mehr.
 
Eine Stunde Arbeit kostet ab sofort mindestens 9,82 Euro.
 
Auf einen Brief muss eine 85-Cent-Marke.
 
Wer als kleiner Hahn auf die Welt schlüpft, darf nicht mehr sofort getötet werden. 
 

Fra(n)g:
Warum brauchen wir eigentlich so viele Regeln?
 
ANTreas:
Die Welt dreht sich weiter. Die Dinge müssen den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen angepasst werden. 
 
Fra(n)g:
Diese Aneinanderreihung schlecht klingender Wörter sehe ich größtenteils ein. 
Aber was ist bei den Hähnen schiefgelaufen?
 
ANTreas:
Die Gesellschaft achtet mehr auf Tierwohl.
 
Fra(n)g:
Waren wir bis Silvester Barbaren?
 
ANTreas:
Zumindest waren Menschen der Grund für die neue Regel. 
 
Fra(n)g:
Sind die so schlimm?
 
ANTreas:
Sie neigen zu schlimmen Spezialgebieten. 
Die einen bekämpfen die Diktatur in einer Demokratie, andere hinterziehen Steuern und wieder andere killen die Küken, die sie vorher ausbrüten ließen, nur weil sie Hähne werden würden. 
 
Fra(n)g:
Haben Hähne eigentlich Penisse?
 
ANTreas:
Nein. Bei den meisten Vögeln gibt es nur die berühmte Kloake.
<schüttelt sich>
Ein schreckliches Wort.
 
Fra(n)g:
Ich wollte keinen Biologieunterricht für Anfänger. 
 
ANTreas:
Sie haben gefragt.
 
Fra(n)g:
Manche Fragen stellt man nicht für die Antwort.
 
ANTreas:
Das habe ich missverstanden. 
Da sehen Sie, was passiert, wenn man sich nicht an Regeln hält.  
 
Fra(n)g:
Solange es nur ein Missverständnis ist… 
Regelmissachter könnten auch Leute anstecken. 
 
ANTreas:
Und schon wieder sind wir bei der Kacke mit C. 
 
Fra(n)g:
Passend zur Kloake.
 
ANTreas:
Die schreibt man mit K. 
 
Fra(n)g:
Können wir bitte zum Thema zurückkommen. 
Warum braucht man ein Gesetz, das besagt, dass man keine Küken umbringt? Das sollte doch selbstverständlich sein. 
 
ANTreas:
Erstens: Wirtschaftliche Interessen.
Zweitens: Was erlaubt ist, wird gemacht. 
 
Fra(n)g:
Ehrlich?
Muss man alles tun, was nicht verboten ist?
 
ANTreas:
Man muss nicht, aber so läuft es. 
 
Fra(n)g:
Ohne Konsequenzen?
 
ANTreas:
Zumindest ohne juristische. 
 
Fra(n)g:
Auch ohne moralische?
 
ANTreas:
Moral ist ein Wertekatalog. 
Sie erinnern sich doch an früher den von Quelle. In so etwas kann man stöbern, man muss aber nicht alles wollen. 
 
Fra(n)g:
Ich sehe ein, das ist freiwillig. 
Wie wäre es mit dem kategorischen Imperativ? Der klingt nach mehr Druck.
 
ANTreas:
Der besagt, dass der vernünftige Mensch die männlichen Küken nicht killt, weil er einsieht, dass, wenn das alle machen, zukünftigen Hühnern die Väter fehlen werden. 
Und dann wäre es vorbei mit dem Frühstücksei, mit der Hühnersuppe, mit Gegacker und Kikeriki. 
 
Fra(n)g:
Das heißt, mit Kant wäre die Kükenschredderei nicht passiert?
 
ANTreas:
Nun ja, selbst Kant wusste, dass die Leute nicht nur vernünftig sind. 
 
Fra(n)g:
Zum Glück. Sonst gäbe es keinen Karneval. 
 
ANTreas:
Und keine Corona-Zweifler.
 
Fra(n)g:
Auch keine Wetten, dass…-Wetten.
 
ANTreas:
Und anderen Blödsinn.
 
Fra(n)g:
Kann es sein, dass keine Regeln das Leben bunter machen?
 
ANTreas:
Nicht für männliche Küken. 
 
Fra(n)g:
Das ist ein extremes Beispiel.
 
ANTreas:
Auch nicht für Intensivpflegerinnen und -pfleger. 
 
Fra(n)g:
Okay, ich verstehe. Vielleicht plädiere ich dafür, hin und wieder etwas lockerer mit Regeln umzugehen.
 
ANTreas:
Ich vermute, sie meinen bestimmte Regeln.
 
Fra(n)g:
Na klar. 
 
ANTreas:
Welche?
 
Fra(n)g:
Die, die nicht so wichtig sind.
 
ANTreas:
Sie meinen die, die sie nicht so wichtig finden. 
 
Fra(n)g:
Ist das nicht dasselbe?
 
ANTreas:
<schmunzelt>
Leider nicht. 
Aber besser hätte auch ich die Schwierigkeit mit den Regeln nicht auf den Punkt bringen können. 
 
Fra(n)g:
<zieht sich sichtlich stolz in seine Hirnhälfte zurück>
 
ANTreas:
<ruft ihm hinterher>
Das war kein Kompliment, mein Lieber, kein Kompliment.


 

29.12.2021

Jahresanfangsfolklore


Heute wurde ich gefragt, was ich mir fürs neue Jahr vornehme.
 
Normalerweise halte ich die Weltenrettung für einen angemessenen Plan. 
Das klingt besser als drei Kilo ab- oder zunehmen, die Freunde öfter treffen oder sich weniger über andere Leute zu ärgern, und hat die gleichen Chancen auf Erfolg. 
 
Diesmal kam ich aber, bevor ich antworten konnte, ins Grübeln. 
Vielleicht wegen Spaziergängern mit Fackeln und ihrer Massenmedien-DieDaOben-Unterdrückungserzählungen. 
 
Die gehen mir so auf die Nerven, dass ich schon mal über Gegenmaßnahmen phantasiere. 
Den Leuten öfter einen Vogel zu zeigen, wäre ein Beispiel. Nur eins. Ich hätte noch andere...


Fra(n)g: 
<angespannt> 
Müssen Vorsätze eigentlich immer gut sein oder kann man auch mal...? 
 
ANTreas: 
<fällt ihm ins Wort, bevor er sich um Kopf und Kragen redet>
Der Vorsatz ist eigentlich eine juristische Dimension und in den meisten Fällen wesentlich für die richterliche Entscheidung, ob man verknackt wird. 
 
Fra(n)g: 
Das klingt nicht nach persönlicher Optimierung. 
 
ANTreas: 
Man handelt vorsätzlich, wenn man das, was man anstellt, wirklich tun will und auch noch weiß, was man damit anrichten kann.  
 
Fra(n)g: 
Das gilt fürs Klauen wie fürs Joggen? 
 
ANTreas: 
Richtig. 
 
Fra(n)g: 
Also wollten sie nur etwas verquast und kompliziert sagen, dass ein Vorsatz nicht immer gut sein muss. 
 
ANTreas: 
Das haben sie gut erkannt. 
Zwingend gut ist er nur bei der Folklore zum Jahreswechsel. 
 
Fra(n)g: 
Aber ist das Wort gut nicht auch bei dieser Gelegenheit relativ? 
 
ANTreas: 
Klar. Der schwere Mann will ab-, der leichte zunehmen. 
Gut steht in diesem Fall für von einem selbst erwünscht. 
 
Fra(n)g: 
Nehmen wir mal an, ich wünsche mir, mehr Sport zu machen. 
Bleibt das ein guter Vorsatz, auch wenn ich mir am dritten Januar ein Bein dabei breche? 
 
ANTreas: 
Der Vorsatz war ja nicht der Beinbruch. 
 
Fra(n)g: 
Nein, aber der Beinbruch war eine Folge des guten Vorsatzes. 
Mache ich mich da nicht strafbar gegen mich selbst? 
 
ANTreas: 
Sie könnten sich vornehmen, im neuen Jahr weniger dusselige Gedankengänge zuzulassen. 
 
Fra(n)g: 
Ich gebe zu, ich wollte sie verwirren. 
Aber die Frage bleibt: Wenn ich mögliche negative Konsequenzen nicht einkalkuliere, sind gute Vorsätze dann vielleicht völlig naiv? 
 
ANTreas: 
Nur, weil man Unfälle, wie Verhungern durch Abnehmen oder Genickbruch durch mehr Sport, nicht einbezieht, würde ich nicht gleich von naiv sprechen. 
Aber wir halten unsere guten Vorsätze oft sehr allgemein. 
 
Fra(n)g: 
Dabei sagt einem jede Management- oder Glücks-Bibel, dass das nichts wird. 
 
ANTreas: 
Seit wann lesen sie so was? 
 
Fra(n)g: 
Ich lese die Werbetexte. Danach bin ich ausreichend Ratgeber-gebildet. 
 
ANTreas: 
Dann wissen sie sicherlich genau, welche Kriterien an einen guten Vorsatz anzulegen sind. 
 
Fra(n)g: 
Er sollte ein konkretes Ziel verfolgen. 
Also: „Ich lasse mich nächste Woche impfen“ statt „Irgendwann mache ich mal was gegen Corona“. 
 
ANTreas: 
Womit wir wieder bei unserem Lieblingsthema wären. 
Wir hatten uns doch vorgenommen, nicht ständig über die Kacke mit C zu sprechen. 
 
Fra(n)g: 
Das war nur als Beispiel gemeint. 
 
ANTreas: 
Aber man sieht an ihrem Rückfall, wie schwierig es ist, gute Vorsätze einzuhalten. 
 
Fra(n)k: 
Bei der Kacke mit C waren wir uns aber von vornherein nicht einig, ob man mehr oder weniger darüber sprechen muss. 
Nur, dass das, was gerade gemacht wird, anscheinend nicht die richtige Dosis ist. 
 
ANTreas: 
Dann sind die guten Vorsätze der Beweis dafür, dass wir, dass sie und ich in anderer Leute Köpfen Brüder und Schwestern haben. 
 
Fra(n)g: 
Hä? 
Ich kann ihnen nicht folgen. 
 
ANTreas: 
Anscheinend haben viele Menschen zwei Hirnwindungen, die gerne diskutieren. 
Die eine sagt, mehr Sport. Die andere will mehr fernsehen. 
Und schon haben wir den Salat. 
 
Fra(n)g: 
Salat wäre vielleicht schon mal ein guter Anfang. 
 
ANTreas: 
Ich sprach von einer Misere, nicht von Ernährung. 
 
Fra(n)g: 
Ich weiß. 
Aber ich wollte sie missverstehen. 
 
ANTreas: 
Das wäre ebenfalls ein guter Vorsatz für sie: 
Mir nicht immer die Wörter im Munde herumdrehen. 
 
Fra(n)g: 
Aber dann hätten wir weniger Spaß. 
 
ANTreas: 
Gute Vorsätze sollen doch keinen Spaß machen. 
 
Fra(n)g: 
Ist das so? 
 
ANTreas: 
Was mir Spaß macht, tue ich doch ohnehin. 
 
Fra(n)g: 
Aber ein bisschen Sport kann Spaß machen. 
Weniger zu essen, muss nicht langweilig sein. 
Mehr Zeit für Freunde aufzuwenden, ist wahrscheinlich sehr vergnüglich. 
 
ANTreas: 
Da muss ich ihnen recht geben. 
Anscheinend geht es eher um Gewohnheiten, die aufzubrechen sind. 
 
Fra(n)g: 
In dem Bereich ist der Mensch ja sehr schwierig. 
Das, was er schon lange so macht, will er immer weiter tun. 
Sich seit einem Jahr nicht impfen zu lassen zum Beispiel. 
 
ANTreas: 
Schon wieder dieses Thema! 
 
Fra(n)g: 
Ich finde wirklich, den Leuten würde ein entsprechender guter Vorsatz gleich für Anfang Januar sehr guttun. 
Und uns allen auch. 
 
ANTreas: 
Das wäre eine neue Kategorie: Der gute Vorsatz für unsere Mitmenschen. 
 
Fra(n)g: 
Sie meinen, man verschenkt gute Vorsätze? 
 
ANTreas: 
Genau. Und dann hilft man dem anderen, das Ganze hinzukriegen. 
Der Halbmarathon, den man im Herbst schaffen will, würde dann zum Team-Event. 
 
Fra(n)g: 
Das klingt gut. 
Aber wer trifft sich schon, um gemeinsam weniger zu essen? 
Oder zum Nichtrauchen? 
 
ANTreas: 
Stimmt. Das wird schwierig. 
 
Fra(n)g: 
Gute Vorsätze bleiben etwas Einsames. 
 
ANTreas: 
Das kommt drauf an. 
Im Fitnessstudio ist es im Januar immer brechend voll. 
 
Fra(n)g: 
Das nervt die, die immer gehen. 
Aber ich frage mich, ob nicht ein bisschen Bewegung im Januar besser ist als gar keine. 
 
ANTreas: 
Das könnte man so sehen. 
 
Fra(n)g: 
Vielleicht sollte man gute Vorsätze ganz generell eher als Schnupperkurs betrachten. 
 
ANTreas: 
Man probiert mal etwas Neues aus. 
Aber ändert nicht gleich sein ganzes Leben. 
 
Fra(n)g: 
Das wäre zumindest menschlicher. 
Und würde aufhören, eine Idee zur lebensverändernden Maßnahme zu stilisieren. 
 
ANTreas: 
Ich könnte mal probieren, einen Tag nicht klugzuscheißen. 
 
Fra(n)g: 
Und ich ein Töpferwochenende buchen. 
 
ANTreas: 
Sie sind eine Hirnwindung. 
Sie können nur denken, nicht basteln. 
 
Fra(n)g: 
Eben drum. 
 
ANTreas: 
Dann probieren Herr Esomann und Frau Quergedacht mal das Impfen. 
 
Fra(n)g: 
Genau. Einfach mal was Neues wagen. 
 
ANTreas: 
Das Neujahrs-Neue. 
 
Fra(n)g: 
Die leichte Alternative... 
 
ANTreas: 
…zum schwerwiegenden guten Vorsatz. 
 
Fra(n)g: 
Weitersagen! 



15.12.2021

SCHENKER GEGEN GESCHENKGEGNER

 
 Glöckchen, Türchen, Engelchen: Die Vorweihnachtszeit neigt zum Diminutiv. Alles soll klein, niedlich und heimelig sein. 
 
Von Geschenkchen spricht allerdings niemand. Oder vom Geschenklein. 
Ein ausgewachsenes Geschenk soll es sein. 
Punkt. 
Niedlich wird es durch die Verpackung. 
 
Der Diminutiv von Geschenk lautet Kleinigkeit. 
Diesen Begriff verwenden allerdings nur die Schenkenden. Sie wollen einem damit vormachen, man müsse nicht würdigen, dass sie sich sieben Stunden das Hirn zermartert haben, um genau auf dieses Präsent zu kommen. 
Kleinigkeit ist präsentgewordenes Komplimentefischen der Hochleistungsschenker. 

Sollte ein Empfänger irgendwann „Danke für die Kleinigkeit“ sagen, kann man sicher sein, er möchte den Abend direkt nach der Geschenkübergabe beenden. 
 
Schenken ist so umstritten wie traditionell und man kann froh sein, dass wegen der Debatte, ob es nun etwas geben soll oder nicht zumindest keine Straßenschlachten entstehen. Das Bundeskriminalamt warnt auch nicht vor terroristischen Umtrieben der Schenkverweigerer. 
 
Aber für Ehekrisen, Freundschaftbeenden, Partnertausch und Tränen reicht es allemal. 

 
Fra(n)g:
Warum streiten wir übers Schenken?
 
ANTreas:
Weil der eine etwas schenken will und der andere nicht. 
Und weil der Beschenkte das Gefühl hat, zurückschenken zu müssen.
 
Fra(n)g:
Vielleicht schenken manche auch nur, um etwas geschenkt zu bekommen.  
 
ANTreas:
Oder in vorauseilendem Gehorsam, weil sie glauben, dass sie beschenkt werden werden. 
 
Fra(n)g:
Ich bin schon nach fünf Sätzen verwirrt. Nicht nur grammatikalisch. 
Das dauert normalerweise länger. 
 
ANTreas:
Ich wollte nur andeuten, dass das Bedrohliche am Schenken nicht das Präsent ist, sondern der Subtext, der mitüberreicht wird.
 
Fra(n)g:
Es geht bei den Diskussionen ums Schenken also um den Prozess, nicht um die Gabe?
 
ANTreas:
Wegen der kriegt man sich eher selten in die Haare. 
 
Fra(n)g:
Selbst, wenn sie blöd ist?
 
ANTreas:
Auch dann nicht. 
Meistens verrät man ja nicht, dass es einem nicht gefällt. 
Und wenn man es doch tut, redet man wohl eher über den Schenker.
 
Fra(n)g:
Ist Schenken dann nicht ein Aufruf zur Unaufrichtigkeit?
 
ANTreas:
Es ist in erster Linie eine Tradition.
 
Fra(n)g:
So etwas wie ein großer Zapfenstreich zum Abschied der Bundeskanzlerin?
 
ANTreas:
So etwas in der Richtung. 
Das war ja auch ein Geschenk von der Bundeswehr an Frau Merkel. Statt eines Präsentkorbs. Oder eines kaputten Panzers. 
 
Fra(n)g:
Also so ein Zapfenstreich würde mir auch gefallen. 
 
ANTreas:
Kriegen sie aber nicht.
 
Fra(n)g:
Ist das nicht ein Problem, dass man meistens nicht bekommt, was man wirklich will?
 
ANTreas:
Schenken ist doch keine Bestellung bei Amazon: Ich will das – Klick - Ding-Dong - Hier ist es. 
Das funktioniert Ding-Dong - Hier ist es - Ich wusste gar nicht, dass ich das wollte. 
 
Fra(n)g:
Die könnte man auch schlicht und ergreifend Stress für den Lieferanten nennen. 
Sie finden es doch sicher auch anstrengend und schwierig, Geschenke zu machen.
 
ANTreas:
Ja. Aber das ist doch unter anderem der Sinn des Ganzen.
 
Fra(n)g:
Sich Stress aufzubürden?
 
ANTreas:
Nun ja, eher, sich etwas für den anderen zu überlegen. 
 
Fra(n)g:
Aber der Druck…
 
ANTreas:
Meine Güte, es geht nur um ein Geschenk. 
 
Fra(n)g:
Aber es soll etwas Besonderes sein. Den Beschenkten zeigen, wie kreativ ich an sie gedacht habe. Die sollen sich doch mindestens Löcher in die Bäuche freuen.
 
ANTreas:
Ich wiederhole: Meine Güte, es geht nur um ein Geschenk.
 
Fra(n)g:
Sie meinen, ich übertreibe?
    
ANTreas:
Ihr Anspruch ist zu hoch. 
 
Fra(n)g:
Kann es sein, dass ich andere zu glücklich machen will?
<kriegt einen christkindhaften Glanz in den Augen>
 
ANTreas:
<schielt>
Das glauben sie ja wohl selbst nicht!
Sie wollen sich selbst glücklich machen. 
Aber es gibt keinen Wettbewerb für den originellsten Schenker der Stadt.  
 
Fra(n)g:
Aber Schlips, Unterhose, Socken soll es ja wohl auch nicht sein.
 
ANTreas:
Krawatten nur für Schlipsträger. Unterhosen sind weiterverbreitet, die gehen bei fast jedem. 
 
Fra(n)g:
Aber man schenkt sie nur, wenn man sich zum Vollhorst machen will.
 
ANTreas:
Wissen Sie, dass das Wort Schenken von Einschenken kommt? 
Ursprünglich ging es also nur um ein Schluck Wasser, vielleicht Met.
 
Fra(n)g:
Amen. 
Das ist lange her.
Heute geht es um kommerzielle Geschenktermine wie Weihnachten und Geburtstage.
 
ANTreas:
Schenken sie denn außer der Reihe?
 
Fra(n)g:
Eigentlich schon. 
<denkt nach>
Aber dann vergesse ich es immer wieder. 
 
ANTreas:
Dann seien sie doch froh über die Termine. 
Kleine Reminder, dass sie dem ein oder anderen ohnehin etwas schenken wollten.
 
Fra(n)g:
So habe ich es noch nie gesehen.
Ich könnte ja zu Weihnachten auch ein Geschenk im Sommer verschenken. 
Ein Julipräsent tbd sozusagen. 
 
ANTreas:
Tolle Idee für Weihnachtsgeschenkmuffel. 
Sie sollten sich das dann aber in den Kalender eintragen. Ich als Beschenkter würde es mir nämlich auf alle Fälle aufschreiben.
 
Fra(n)g:
Wie kommen sie darauf, dass sie der Beschenkte sind?
 
ANTreas:
Vielleicht nicht der. Aber ein Beschenkter bestimmt. 
Weil sie sich freuen, wenn ich mich freue. 
 
Fra(n)g:
Sie meinen, beim Schenken muss auch der Beschenkte mitspielen? 
 
ANTreas:
Natürlich. Schenken ist Kommunikation. 
 
Fra(n)g:
Ist dann die Entscheidung, sich nichts zu schenken, eine besondere Form der Funkstille? Schweigsamer Haushalt, obwohl geredet wird?
 
ANTreas:
Man lässt sich damit zumindest eine Möglichkeit entgehen, aus einem außergewöhnlichen Anlass etwas Besonderes zu machen.
 
Fra(n)g:
Das klingt fast ein bisschen schade. 
 
ANTreas:
Sie haben vorhin von Stress und Druck geredet. Nicht ich. 
Fröhliche Weihnachten übrigens.
<überreicht eine Schachtel mit roter Schleife>
 
Fra(n)g:
Oh nein. Wie konnten sie nur? Wir wollten doch nicht.
Jetzt stehe ich da wie ein Depp. 
Ich habe natürlich nichts. 

 

ANTreas:
<lacht> 
Sie sind ja auch für die Fragen zuständig. 
Ohne sie gäbe es den Inhalt der Schachtel gar nicht. 
 
Fra(n)g:
<schüttelt die Box>. 
Ist da gar nichts drin?
 
ANTreas:
Nur ein paar Gedanken. Auf Vorrat fürs nächste Jahr.
 
Fra(n)g:
<tut so, als schüttele er etwas aus dem Ärmel in die Box, 
und gibt sie dann mit großer Geste zurück>
Hier von mir für sie schon mal ein paar Fragen. 
Und ebenfalls schöne Weihnachten. 
 
<beide ziehen sich dankbar lächelnd in ihre jeweilige Hirnhälfte zurück>